Zwischen Anspruch und Realität: Deutschlands digitale Radiologie im europäischen Vergleich

Während einige Länder mit innovativen Lösungen voranschreiten, kämpft Deutschland trotz großer Ambitionen noch immer mit analogen Altlasten.

Digitalisierung in Deutschland
Während einige Länder mit innovativen Lösungen voranschreiten, kämpft Deutschland trotz großer Ambitionen noch immer mit analogen Altlasten
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Zwischen Anspruch und Realität: Deutschlands digitale Radiologie im europäischen Vergleich

Die Digitalisierung prägt die Radiologie in ganz Europa – doch während einige Länder mit innovativen Lösungen voranschreiten, kämpft Deutschland trotz großer Ambitionen noch immer mit analogen Altlasten. Woran das liegt, wie Radiologen dennoch vorangehen und warum es sich lohnt, über Ländergrenzen hinweg zu denken, zeigte sich während der Session „Digitales Deutschland – zwischen abgehängt und Spitzenreiter“ beim RöKo 2025 in Wiesbaden.

Fortschritt auf dem Papier – Faxgerät in der Praxis

Deutschland sieht sich gern als Innovationstreiber in der Radiologie. Doch der Alltag in vielen Kliniken erzählt eine andere Geschichte: Noch immer sind Faxgeräte und Papierakten fester Bestandteil der IT-Landschaft. Selbst an traditionsreichen Standorten wie Mainz, wo Digitalisierung früh begonnen hat, ist die Realität ernüchternd. „Healthcare IT in Deutschland ist in weiten Teilen noch immer angeschraubt“, so die Einschätzung von PD Dr. Daniel Pinto dos Santos, Geschäftsführender Oberarzt der Universitätsmedizin Mainz. Während auf Kongressen und in der Forschung modernste digitale Lösungen präsentiert werden, bleibt der Transfer an das Krankenbett oft aus. Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist groß – und sorgt auch international für Verwunderung.

Ethik und Verantwortung: Warum Technik allein nicht reicht

Die digitale Transformation der Radiologie ist nicht nur eine technische, sondern auch eine ethische Herausforderung. Prof. Saskia Karl Nagel, Expertin für angewandte Ethik, mahnte: „Verantwortungsvoll ist das, womit wir guten Gewissens moralisch gerechtfertigt umgehen können.“ Das Festhalten an veralteten Technologien wie dem Faxgerät sei aus ethischer Sicht kaum noch zu rechtfertigen. Gleichzeitig warnt sie davor, Digitalisierung um der Technik willen zu betreiben: „Wir müssen uns fragen, welche Ziele wir in der Klinik wirklich verfolgen und welche Technologien wir tatsächlich brauchen.“ Innovation müsse immer auch am Nutzen für Patienten und Gesellschaft gemessen werden. Diese Perspektive gewinnt in der europäischen Debatte zunehmend an Bedeutung.

Innovation braucht Teamgeist und Interoperabilität

Ein zentrales Problem bleibt die Fragmentierung: In Deutschland wie in vielen europäischen Ländern entstehen digitale Lösungen oft als Insellösungen, die nur einzelne Workflows abdecken. „Wir denken zu klein“, kritisierte Christian Zapf, Head of Business Line Digital & Automation (Imaging IT & Software), Siemens Healthineers. „Statt punktueller Tools brauchen wir ganzheitliche Ansätze, die ganze Abteilungen oder sogar gesamte Krankenhäuser effizienter machen.“

Echte Innovation entsteht erst, wenn Technik und klinischer Alltag zusammenfinden. Hier betont Jan Beger, Global Head of AI Advocacy bei GE HealthCare: „Ich glaube, Innovation in der Digitalisierung ist ein Teamsport und das Ganze wird nie funktionieren, wenn nicht alle auf dasselbe Ziel hinarbeiten.“ Der Austausch zwischen Technikern und Klinikern, zwischen Industrie und Wissenschaft, ist entscheidend. Neue Standards, strukturierte Datenformate und vor allem Interoperabilität sind die Basis für nachhaltige Innovation – ein Thema, das auch auf europäischer Ebene immer wichtiger wird.

Gelingt das, kann gerade die Radiologie als Katalysator für eine übergreifende digitale Infrastruktur fungieren. Dafür müsste man allerdings die Rolle der Bildgebung neu denken: Radiologie ist nicht nur Dienstleistung, sondern integraler Bestandteil der Versorgung. Das bedeutet, Radiologen sollten aktiv in Prozessoptimierung und Qualitätssicherung eingebunden werden. „Innovation ist das, was ankommt“, brachte es Marc Kämmerer, Leiter Innovationsmanagement, VISUS Health IT GmbH, auf den Punkt.

Europas Rolle: Von Insellösungen zu vernetzten Systemen

Der Blick ins europäische Ausland zeigt: Viele Länder stehen vor ähnlichen Herausforderungen, doch der Austausch von Best Practices gewinnt an Fahrt. Internationale Initiativen, Bildungsprogramme und gemeinsame Standards bieten die Chance, Digitalisierung grenzüberschreitend voranzutreiben. In Ländern wie den Niederlanden oder Skandinavien gibt es bereits erfolgreiche Beispiele für vernetzte, patientenzentrierte Radiologie. Deutschland kann hier profitieren – aber auch Impulse geben, etwa durch seine starke Forschungslandschaft und die hohe Innovationskraft in der Radiologie. Entscheidend ist, dass der europäische Dialog weiter intensiviert wird. Denn nur gemeinsam lässt sich die digitale Transformation meistern.

Die Digitalisierung der Radiologie bleibt eine Gemeinschaftsaufgabe – in Deutschland wie in ganz Europa. Technik allein reicht nicht: Es braucht ethische Leitplanken, interdisziplinäre Zusammenarbeit und vor allem den Willen, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Wenn es gelingt, Innovation und Verantwortung zu verbinden und alle Akteure an einem Strang ziehen, kann die Radiologie zum Vorbild für das digitale Gesundheitssystem von morgen werden.



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