Qualität statt Dokumentationspflicht

Wie Prof. Wenz die Zukunft der Radiologie und Medizin sieht

Universitätsklinikum Freiburg
Unter der Leitung von Prof. Frederik Wenz treibt das Universitätsklinikum Freiburg die Integration Künstlicher Intelligenz in Diagnostik und Therapie konsequent voran – mit dem Ziel, Qualität und Effizienz in der Medizin.
Quelle: Bild ©: UK Freiburg

Wie Prof. Wenz die Zukunft der Radiologie und Medizin sieht

Beim „Medizininformatik Summit“, der im Rahmen des R3-Imaging-Kongresses im September in Konstanz stattfand, setzte Prof. Frederik Wenz, Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Freiburg, zum Abschluss einen markanten Akzent. Sein Vortrag war weit mehr als eine Rückschau auf einen Tag voller Digitalisierungsthemen und KI-Impulse: Er öffnete den Blick nach vorn – auf ein Gesundheitssystem, das sich unter dem Einfluss von Demographie, Digitalisierung, veränderten Patientenrollen und neuen Qualitätsbegriffen grundlegend wandeln wird.

Prof. Frederik Wenz
Prof. Frederik Wenz, Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Freiburg
Quelle: Bild ©: UK Freiburg

Wenz begann mit einem Blick auf die aktuelle Krankenhauspolitik in Deutschland, die sich, wie er sagte, „in einer Phase der Orientierungslosigkeit“ befinde. Das Ende 2024 verabschiedete Krankenhausversorgungs-Verbesserungsgesetz (KVVG) setze enge Fristen, während das parallel angekündigte Krankenhausreform-Anpassungsgesetz wieder von der politischen Agenda verschwunden sei. Diese widersprüchlichen Signale sorgten für große Unsicherheit in den Kliniken. „Alle laufen wie aufgescheuchte Hühner herum, keiner weiß genau, was gilt“, sagte Wenz und empfahl, sich nicht von politischen Volten treiben zu lassen, sondern sich am tatsächlichen Versorgungsbedarf vor Ort zu orientieren. Politik, so seine Erfahrung, passe sich am Ende immer der Realität an – entscheidend sei, dass Krankenhäuser handlungsfähig bleiben. 

Zwischen Reformdruck und Realitätsprinzip

Zwei Megatrends prägen nach seiner Einschätzung die kommenden Jahre: der demografische Wandel und der Klimawandel. Eine alternde, zunehmend multimorbide Bevölkerung treibt den Versorgungsbedarf in die Höhe, während die Zahl der Beschäftigten im Gesundheitssystem schrumpft. Gleichzeitig sinkt die Zahl der Beitragszahler im solidarisch finanzierten System. „Es wird kein Geld vom Himmel fallen“, warnte Wenz. „Wir müssen mehr Leistung mit weniger Personal und weniger Mitteln erbringen – und das nicht irgendwann, sondern schon heute.“ 

Auch der Klimawandel werde den medizinischen Alltag verändern. Neue Krankheitsbilder wie durch die Tigermücke übertragene Infektionen oder hitzebedingte Erkrankungen seien keine Zukunftsmusik mehr, sondern Realität. Krankenhäuser als besonders energieintensive Einrichtungen tragen die Verantwortung, ihren CO₂-Footprint zu senken – und die Radiologie mit ihren ressourcenhungrigen Großgeräten steht hier besonders im Fokus. 

Für die Krankenhauslandschaft zeichnete Wenz ein deutliches Bild: Die Zukunft gehört einerseits der Ambulantisierung, andererseits der Zentralisierung. Immer mehr Leistungen, die früher stationär erbracht wurden, verlagern sich in den ambulanten oder prästationären Bereich. Kleine Häuser verschwinden, während größere Zentren oder spezialisierte Fachkliniken an Bedeutung gewinnen. Wenz sprach in diesem Zusammenhang von einer „McDonaldisierung der Medizin“ – nicht als Kritik, sondern als nüchterne Beobachtung: Standardisierung, Effizienz und Prozesskontrolle werden zu zentralen Erfolgsfaktoren.

Patienten als aktive Mitgestalter

Gleichzeitig verändert sich die Rolle der Patienten grundlegend. Aus passiven Empfängern werden aktive Beteiligte – „Prosumer“, wie Wenz sie nennt, eine Mischung aus Producer und Consumer. Patienten werden stärker in Abläufe einbezogen, übernehmen selbst Aufgaben und gestalten Prozesse mit. Am Universitätsklinikum Freiburg zeigen erste Projekte, wie das aussehen kann: Digitale Check-in-Kioske ersetzen die klassische Anmeldung, Termin-Apps reduzieren das Telefonaufkommen, und die Integration von PACSonWEB ermöglicht es Patienten, ihre radiologischen Bilder und Befunde direkt in der App zu sehen. „Wir müssen den Patienten nicht nur behandeln, sondern ihn aktiv in die Prozesse einbinden“, forderte Wenz.

Ein weiteres zentrales Thema seines Vortrags war die Rolle der Künstlichen Intelligenz. Studien schätzen das Einsparpotenzial für das deutsche Gesundheitswesen auf bis zu 34 Milliarden Euro jährlich, doch Wenz betonte, dass sich die Diskussion nicht auf Effizienzgewinne reduzieren dürfe. Entscheidend sei nicht der Return on Investment, sondern die Verbesserung der Qualitäten. „KI soll nicht nur schneller machen, sondern auch besser“, sagte er. Seine Vision ist eine Medizin, in der Qualität in Echtzeit entsteht – nicht erst in der retrospektiven Dokumentation.

Heute, so Wenz, werde in vielen Bereichen nach dem Prinzip „Erlebnisaufsatz in der Grundschule“ gearbeitet: Dokumentationen entstehen im Nachhinein, Prüfungen richten sich nach dem Papier, nicht nach dem Prozess. Stattdessen sollten Sensorik, Datenintegration und KI den Ablauf in Echtzeit begleiten. Ein „Spurhalteassistent im Krankenhaus“ könnte Abweichungen sofort erkennen und Rückmeldung geben, robotische Systeme Operationen aufzeichnen und für die Qualitätssicherung nutzen, und automatisierte Anamnese-Tools könnten aus Gesprächen mit Patienten strukturierte Daten generieren. So entstünde ein System, das Fehler reduziert, die Sicherheit erhöht und den Ärztinnen und Ärzten mehr Zeit für die Patienten lässt.

Prof. Elmar Kotter und Prof. Fabian Bamberg im Dialog mit einem Aussteller...
Die Kongressorganisatoren Prof. Elmar Kotter und Prof. Fabian Bamberg im Dialog mit einem Aussteller: Der R3 Imaging-Kongress 2025 in Konstanz zeigt, wie eng Wissenschaft und Anwendung in der modernen Radiologie verzahnt sind.
Quelle: Die Kongressorganisatoren Prof. Elmar Kotter und Prof. Fabian Bamberg im Dialog mit einem Aussteller: Der R3 Imaging-Kongress 2025 in Konstanz zeigt, wie eng Wissenschaft und Anwendung in der modernen Radiologie verzahnt sind.

Von der Dokumentationspflicht zur Qualitätsmedizin 

Für diese Vision sei eine klare Datenstrategie unerlässlich. „Use all data“, fordert Wenz – nicht nur Studien- oder Forschungsdaten, sondern sämtliche klinischen Informationen, die täglich entstehen. Klassische Konzepte wie Datensparsamkeit oder Zweckbindung seien in dieser Form nicht mehr zeitgemäß, wenn man KI sinnvoll nutzen wolle. Freiburg engagiere sich daher aktiv in der EHDS-Koalition, um eine europäische Harmonisierung der Datenräume voranzutreiben. 

Im Kern seiner Botschaft ging es Wenz um einen Paradigmenwechsel: vom Weg der Dokumentationspflicht hin zu einer Qualitätsmedizin in Echtzeit. Digitalisierung und KI seien dabei keine Bedrohung, sondern ein Instrument, um Medizin menschlicher zu machen – indem sie Routinearbeit übernehmen und Freiraum für Empathie schaffen. 

„Wenn wir es schaffen, Dokumentation als Abfallprodukt zu eliminieren, Patienten aktiv einzubinden und Qualität kontinuierlich zu sichern, dann heben wir die Medizin auf ein neues Level“, schloss Wenz seinen Vortrag. Digitalisierung und KI dürften nicht nur an Produktivitätskennzahlen gemessen werden. Entscheidend sei, ob sie die Versorgung für Patienten und das Arbeiten des medizinischen Personals verbessern. Die Radiologie, so sein Appell, könne dabei eine Vorreiterrolle übernehmen – als Fach, das schon heute wie kein anderes Daten, Technologie und klinische Verantwortung miteinander verbindet. 


www.r3-imaging.org

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