Licht ins Unsichtbare bringen: Die Eröffnung des Röntgenkongress 2025 in Wiesbaden

Nobelpreisträger Prof. Dr. Stefan W. Hell hält Eröffnungsrede...
Nobelpreisträger Prof. Dr. Stefan W. Hell
Quelle: Miriam Mirza

Was kann Radiologie heute – und was wird sie morgen können? Der Deutsche Röntgenkongress 2025, eröffnet von führenden Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Praxis, versuchte sich an einer Standortbestimmung zwischen rasanten technologischen Sprüngen, dem zunehmenden Einfluss künstlicher Intelligenz und der ganz praktischen Frage: Wie bleiben Ärzte inmitten dieser Entwicklung souverän?

"Neugier ist mein innerer Motor"

Den Auftakt machte niemand Geringeres als der Nobelpreisträger Prof. Dr. Stefan W. Hell. Der Physiker ist Direktor am Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften und wirde in Göttingen 2014 für die Entwicklung der STED-Mikroskopie mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet – eine Technik, mit der Lichtmikroskope heute weit über die klassische Auflösungsgrenze hinaussehen können. „Das Unsichtbare sichtbar zu machen, war schon immer mein Ziel“, sagte Hell, der mit feiner Ironie und tiefgründiger Bescheidenheit den Kongresssaal fesselte.

Hell schlug den Bogen von seiner Kindheit im rumänischen Banat über seine akademische Ausbildung in Heidelberg bis hin zur bahnbrechenden Entdeckung, die eine ganze Forschungslandschaft veränderte. Was ihn antreibe, sei letztlich ein tiefes Bedürfnis, zu verstehen. „Die Fragen, die uns das Leben stellt, kann man nicht immer sofort beantworten. Aber wer neugierig bleibt, wird oft belohnt.“ Allerdings, so mahnte er die Zuhörenden, kann derjenige, der bahnbrechende und damit sein Fachgebiet oft umwälzende Entdeckungen macht, nicht auf den sofortigen Applaus seiner eigen Branche erwarten. 

Seine Ermutigung an die Radiologie: sich nicht von bestehenden Grenzen beeindrucken zu lassen. "Als ich sagte, man könne die Lichtmikroskopie unter die Beugungsgrenze bringen, haben viele gesagt: Das geht nicht. Aber warum eigentlich nicht?" Diese Haltung – Unmögliches zu hinterfragen – sei eine, die auch die Radiologie immer wieder weiterbringen könne.

Radiologie zwischen Kunst und Präzision

Prof. Dr. med. Anna-Kathrin Hell ist renommierte Kinderorthopädin, Leiterin des Schwerpunktbereichs Kinderorthopädie an der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Plastische Chirurgie der Universitätsmedizin Göttingen und Ehefrau des Nobelpreisträgers. In ihrer Rede sprach sie über ein Thema, das in der Medizin nach wie vor viel zu wenig Raum erhält: die strukturellen Hürden für Frauen in Führungspositionen – und die gesellschaftlichen Erwartungen, die mit Karriere und Elternschaft einhergehen.

„Wir haben mittlerweile 70 Prozent Studentinnen in der Medizin – aber in den Führungsrollen sind Frauen noch immer die Ausnahme“, beklagte Hell. Dass viele Ärztinnen nach der Promotion aus dem System verschwinden, sei nicht nur ein individueller Weg, sondern auch Ausdruck fehlender Modelle. Ihr Appell: „Wir können es uns gesellschaftlich nicht leisten, hochqualifizierte Frauen auszubilden, um sie dann auf halber Strecke zu verlieren.“

Hell redete offen über die Doppelbelastung von Klinik und Familie. Ihre eigene Geschichte – vier Kinder, eine Professur, ein Mann mit Nobelpreis – ist dabei kein Hochglanzmärchen, sondern ein Beispiel für tägliche Aushandlungsprozesse. „Wir wollen unsere Kinder nicht einfach nur wegorganisieren. Wir wollen bei ihnen sein. Und trotzdem beruflich ernst genommen werden.“ Damit sprach sie ein strukturelles Problem an: fehlende Rollenmodelle, mangelhafte Nachwuchsförderung, geringe Diversität in Entscheidungsfunktionen – und ein Karrierebild, das im Gesundheitswesen bis heute konservativ geprägt ist.

Dennoch blieb Hell optimistisch. Gerade in der Radiologie, so die Medizinerin, biete die zunehmende Digitalisierung neue Chancen für flexiblere Arbeitsmodelle und kollaborative Führungskulturen. Was es brauche, sei der Mut zur Veränderung – und mehr Sichtbarkeit für jene, die sie längst vorleben.

Verantwortung in Zeiten der Transformation

Eine weitere Brücke in den aktuellen klinischen Alltag schlug Prof. Dr. Konstantin Nikolaou, DRG-Präsident. Er stellte klar, dass sich die Radiologie nicht nur mit technologischem Fortschritt befassen müsse, sondern auch mit dem eigenen Rollenverständnis. „Radiologen sind oft das Rückgrat der Diagnostik – und doch bleiben sie im Klinikalltag manchmal im Schatten“, sagte Nikolaou. Umso wichtiger sei es, die eigene Sichtbarkeit zu erhöhen, interdisziplinär zu arbeiten und klare Haltungen in medizinethischen Fragen zu entwickeln.

Der DRG-Präsident betonte auch die Notwendigkeit, den medizinischen Nachwuchs stärker zu fördern – nicht nur durch Technologie, sondern durch moderne Lernkonzepte, wertschätzende Arbeitskulturen und attraktive Karrierewege. „Wir dürfen den Jungen nicht vorwerfen, dass sie andere Maßstäbe haben. Wir müssen sie verstehen lernen.“

Fazit: Ein Kongress mit Haltung

Die Eröffnung des Röntgenkongresses 2025 zeigte: Radiologie ist weit mehr als die Interpretation von Bildern. Sie ist eine Disziplin mit intellektuellem Tiefgang, mit moralischem Gewicht – und mit großem Zukunftspotenzial. Die eindrucksvolle Verbindung aus Nobelpreis-Wissenschaft, klinischer Realität und persönlichem Ethos machte die Auftaktveranstaltung zu einem Höhepunkt, der den Ton für die kommenden Tage setzte.

Miriam Mirza
Weitere Beiträge zum Thema
Beliebte Beiträge