Theranostik, die Verbindung von Diagnostik und Therapie, bietet in der Radiologie ein enormes Potenzial, insbesondere bei der Behandlung von Krebserkrankungen. Dieser Ansatz ermöglicht nicht nur die präzise Lokalisierung von Tumoren, sondern auch deren gezielte Zerstörung mit minimalen Nebenwirkungen. Durch den Einsatz spezifischer Radiopharmazeutika, die an Krebszellen binden, können Tumore diagnostisch sichtbar gemacht und anschließend therapeutisch behandelt werden.

In der Theranostik kombinieren wir Moleküle, die sich spezifisch an Tumorzellen binden, mit radioaktiven Isotopen.“
Jim Williams, Head of Molecular Imaging bei Siemens Healthineers

„Es gibt immer etwas, das Krebszellen von gesunden Zellen unterscheidet. Dieses Wissen nutzen wir in der Theranostik, um gezielt auf die Biologie der Tumorzellen einzugehen,“ erklärt Jim Williams, Head of Molecular Imaging bei Siemens Healthineers am Rande des RSNA 2024. „Das macht den Ansatz so einzigartig und wirkungsvoll.“ Radiopharmazeutika kombinieren ein biologisches Molekül, das spezifisch an Tumorzellen bindet, mit einem radioaktiven Isotop. Während die diagnostische Komponente PET-Scans ermöglicht, wird das Isotop in der therapeutischen Phase durch eine stärkere, zytotoxische Strahlung ersetzt, die Krebszellen zerstört.
Gezielte Therapie als Schlüssel zur Zukunft
Ein Paradebeispiel ist die Behandlung von Prostatakrebs. Tumorzellen, die das Prostata-spezifische Membranantigen (PSMA) exprimieren, können mit einem PSMA-PET-Tracer sichtbar gemacht werden. „Der spannende Teil ist, dass wir das diagnostische Isotop durch ein therapeutisches ersetzen können, um gezielt Tumorzellen zu töten,“ so Williams weiter. Dieser Ansatz bietet eine Alternative zur externen Bestrahlung, da die Strahlung direkt an die Krebszellen abgegeben wird, was die Belastung für umliegendes Gewebe minimiert. Nebenwirkungen können dadurch drastisch reduziert werden.

Auch bei neuroendokrinen Tumoren und Schilddrüsenkrebs hat die Theranostik bereits Erfolge erzielt. Nebenwirkungen sind oft geringer als bei konventionellen Therapien, da gesundes Gewebe weitgehend verschont bleibt. Zudem bietet die Theranostik die Möglichkeit, den Therapieerfolg in Echtzeit zu überwachen und individuell anzupassen. „Was uns besonders begeistert, ist die Möglichkeit, im Vorfeld zu testen, ob ein Patient auf eine bestimmte Therapie ansprechen wird. So können wir Behandlungen gezielt einsetzen und unnötige Belastungen vermeiden,“ betont Williams. Diese Effizienz macht die Theranostik auch wirtschaftlich attraktiv.
Trotz dieser guten Nachrichten gibt es auch einen Wermutstropfen, denn theranostische Verfahren stehen vor Herausforderungen. „Die Entwicklung neuer Radiopharmazeutika ist aufwendig und teuer,“ betont Williams. Die Herstellung und Verteilung der Radiopharmazeutika erfordert eine hochspezialisierte Infrastruktur, was besonders in weniger entwickelten Regionen eine Hürde darstellen dürfte. Dennoch investieren weltweit führende Unternehmen in diesen Bereich, weil das Potenzial der Theranostik unbestritten scheint. Klinische Studien zeigen vielversprechende Ergebnisse und der Markt für Radiopharmazeutika wächst rasant. Laut Williams könnten bis 2030 mehr als 20 Milliarden Dollar Umsatz allein mit theranostischen Produkten erzielt werden.
Hoffnung für besonders aggressive Krebsarten?
Die Forschung schreitet schnell voran. Während Prostatakrebs und neuroendokrine Tumoren derzeit im Fokus stehen, wird intensiv an der Theranostik für aggressive Krebsarten, wie Pankreaskarzinome, gearbeitet. „Wir stehen erst am Anfang einer neuen Ära der Krebsbehandlung. Die Fortschritte, die wir in den letzten Jahren gesehen haben, sind beeindruckend,“ sagt Williams. Besonders im Bereich der Kombinationstherapien ergeben sich neue Perspektiven. „Es gibt Studien, die Theranostik als Ergänzung zu Operationen oder Immuntherapien testen. Diese Interdisziplinarität könnte langfristig die Behandlungsergebnisse revolutionieren,“ erklärt er.
Theranostik könnte die Art und Weise, wie Krebs behandelt wird, grundlegend verändern. Für Radiologen bietet dieser Ansatz nicht nur neue diagnostische Möglichkeiten, sondern auch die Chance, Patienten personalisierte und effektive Therapien mit weniger Nebenwirkungen anzubieten. „Ich bin überzeugt, dass Theranostik in Zukunft eine feste Säule der Krebstherapie sein wird,“ ist sich Williams sicher. Die Integration dieser Technologien in den klinischen Alltag ist ein Schritt in Richtung einer präziseren und schonenderen Medizin, die sowohl Ärzten als auch Patienten zugutekommt. In einer Zeit, in der die Nachfrage nach effektiveren und gleichzeitig schonenderen Krebstherapien steigt, zeigt die Theranostik eindrucksvoll, wie Technologie und Wissenschaft gemeinsam Lösungen schaffen können, die vor einigen Jahren noch undenkbar schienen.
Autorin, Miriam Mirza