Die Radiologie ist ein essenzieller Bestandteil der modernen Medizin. Doch während scheinbar disruptive technologische Fortschritte stetig neue Geräte und Methoden hervorbringen, stellt sich die Frage: Führt dieser ständige Innovationsdrang tatsächlich zu einer besseren Patientenversorgung oder treibt er vor allem die Kosten der Versorgung in die Höhe?
Prof. Dr. Michael Friebe, Universitätsprofessor, Business Angel und Serial-Entrepreneur, beleuchtet die Notwendigkeit einer neuen Herangehensweise an die Radiologie, die sich mehr auf Effizienz und Kosteneinsparung konzentriert, anstatt auf die Maximierung technologischer Spezifikationen.
Da sich die Radiologie an einem Wendepunkt befindet, beschäftigt sich Michael Friebe mit der Frage, ob die technologischen Verbesserungen tatsächlich zu einem Mehrwert für die Patienten führen oder lediglich das Gesundheitssystem verteuern. Disruptive Radiologie bedeutet für ihn in diesem Zusammenhang, bestehende Technologien zu vereinfachen, die Investitionskosten signifikant zu reduzieren und diese dann auch in neuen Geschäftsmodellen zu nutzen.

„Unter disruptiver Radiologie verstehe ich einen Ansatz, bei der bestehende Technologien durch einen Fokus auf signifikante Kostenreduktionen bei akzeptabler Effizienz und Qualität neue Geschäftsmodelle und neue Nutzungen ermöglicht.“
Prof. Dr. Michael Friebe, Universitätsprofessor, Business Angel und Serial-Entrepreneur
Die Grenzen der technologischen Verbesserung
„Viele Radiologen streben verständlicherweise nach besseren Bildern und schnelleren Diagnosen. Doch was bedeutet „bessere Radiologie“ konkret? Sind es schärfere Bilder, kürzere Untersuchungszeiten, die Abgrenzung gegenüber der Konkurrenz oder eine effizientere Patientenbetreuung?“, beschreibt Friebe die aktuelle Situation.
Denn eigentlich müsste die entscheidende Frage lauten: Welche Technologie ist für wen und welche Fragestellung ist notwendig, um eine zuverlässige Diagnose zu stellen? Denn oftmals reicht auch ein dediziertes Low-field MRT-Gerät vollkommen aus, während 1,5 oder 3-Tesla-Systeme deutlich höhere Kosten verursachen, ohne einen signifikanten medizinischen Mehrwert zu bieten.
Die Gesundheitsversorgung wird durch den technologischen Fortschritt basierend auf den gegenwärtigen Basissystemen immer teurer, doch der zusätzliche klinische Nutzen bleibt oft gering. Auch bei High-end CTs, die mehr als doppelt so viel kosten wie ein leistungsfähiger Multi-Slice-Scanner, stellt sich die Frage, ob diese Investition für die Allgemeindiagnostik gerechtfertigt ist, wenn sich durch den Einsatz eines extrem kostenintensiven Untersuchungsgeräts ein nur geringer diagnostischer Mehrwert ergibt. „Eine kosteneffizientere Alternative könnte in der Entwicklung deutlich preisgünstigerer und vielleicht auch anwendungspezifischer Geräte liegen“, sagt Prof. Friebe. Er plädiert für eine neue Denkweise: „Anstatt immer leistungsfähigere und teurere Systeme zu bauen, sollten wir erst einmal die Frage beantworten, was wir eigentlich finden wollen und was man dafür benötigt … und nachfolgend dann auch versuchen mit geringeren Kosten diese diagnostischen Ergebnisse zu erzielen. Und mit geringeren Kosten meine ich nicht 10 % sondern 90 %!“
Künstliche Intelligenz als Schlüsseltechnologie
Ein weiteres wichtiges Thema in diesem Zusammenhang ist die Rolle der Künstlichen Intelligenz (KI) in der Radiologie. KI kann helfen, Bilder zu optimieren und so beispielsweise die Bildqualität von Low-field MRT-Systemen auf ein deutlich besseres diagnostisch Niveau zu bringen. Dadurch könnten kostengünstigere Geräte eingesetzt werden, ohne dass die Diagnosesicherheit darunter leidet.
„Bereits heute gibt es digitale Methoden, um virtuelle Kontrastmittel zu erzeugen oder Scan-Zeiten zu verkürzen bzw. bei gleicher Akquisitionszeit die Bildqualität zu verbessern. Ein weiteres Systemproblem ist, dass die Vergütung darauf ausgelegt ist, eher kostenintensive Untersuchungen zu erstatten, als unnötige Anwendungen zu vermeiden.“
Für Prof. Friebe ist es wichtig, einer möglichst breiten Bevölkerungsschicht – vor allem auch in Gebieten wie dem globalen Süden – Zugang zu bildgebender Diagnostik zu verschaffen.
Sein Konzept der „Reverse Innovation“ zielt darauf ab, medizinische Technologien so zu entwickeln, dass sie auch in finanziell schwächeren Regionen nutzbar sind. In diesem Zusammenhang stellt sich für ihn die Frage: „Ist es besser, dass ein Großteil der Bevölkerung medizinisch adäquat versorgt ist, oder dass nur ein geringer Prozentsatz Zugang zu einer perfekten bildgebenden Diagnostik hat?“ Denn, wenn es gelingt, kostengünstige Modalitäten zu entwickeln, könnte dies auch Einfluss auf die explodierenden Gesundheitskosten der Industrieländer haben.

Neue Modalitäten oder Softwaresysteme sind oftmals nur inkrementelle Verbesserungen, weil es dafür ein existierendes Geschäftsmodell gibt. Innovation kann aber auch bedeuten, mit neuen Ideen und neuer Technologie, die Investitions- und Betriebskosten zu reduzieren.
Ein notwendiges Umdenken in der Radiologie
Ein weiteres Problem sieht Friebe in der bürokratischen Trägheit unseres Gesundheitssystems. „Kosteneffizientere Innovationen, die grundlegend diagnostisch nichts besser machen, werden oft nicht als wissenschaftlicher Fortschritt anerkannt.“ Als Beispiel nennt er die Reduktion von Kontrastmitteln durch neue Produkte, ohne dass der diagnostische Wert darunter leidet. Außerdem werden innovative Produktideen mit dem Ziel, die Komplexität, die Abmessungen und die Investitionskosten zu reduzieren, oftmals weder finanziell gefördert noch industriell weiterverfolgt, da der Rohertrag (Umsatz minus Herstellungskosten) für die Hersteller zu gering ist.
Zusammenfassend glaubt Prof. Michael Friebe, dass eine Neuorientierung in der Radiologie notwendig ist: „Weniger ausschliesslicher Fokus auf teure Hochleistungstechnologien und mehr Konzentration auf effiziente und kostengünstige Alternativen. Das heisst nicht, dass man auf Produktverbesserungen verzichten soll, aber muss jedes Krankenhaus oder jede Praxis ein 3T oder 7T MRT oder einen MR/PET oder ein MR-LINAC besitzen? Genügt es nicht, diese sehr teuren Systeme nur auf wenige und spezialisierte Institutionen zu beschränken?“
KI sollte genutzt werden, um bestehende Systeme zu optimieren, anstatt immer neue Geräte mit noch besseren technischen Spezifikationen zu entwickeln. Ein Umdenken ist notwendig, damit die Radiologie für alle zugänglich bleibt und das Gesundheitssystem nicht durch unnötige Kostensteigerungen belastet wird.
Prof. Dr. Dipl.-Ing. Michael Friebe hat ein Studium der Elektrotechnik in Deutschland abgeschlossen. Während eines fünfjährigen Auslandsaufenthalts in der Bay Area als MRT Entwicklungsingenieur schloss er ein Master-Studium in Technology Management an der Golden State University in San Francisco ab. Nach seiner Rückkehr promovierte er in der Medizinphysik an der Universität Witten/Herdecke.
Seit den 1990er-Jahren ist er Gründer, Geschäftsführer und Anteilseigner von über 35 Firmen in den Bereichen der innovativen Medizintechnik und der Gesundheitsversorgung.
Er war Inhaber des Lehrstuhls für Intelligente Katheter und bildgesteuerte Therapie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und seit 2020 Honorarprofessor an der medizinischen Fakultät.
Zudem ist er Fellow der TU München, Forschungs-Professor an der AGH in Krakow, Polen und der QUT in Brisbane, Australien. Michael Friebe war an über 300 wissenschaftliche Publikationen und 100 Patentanmeldungen beteiligt.
Er wurde zudem für sein Engagement 2010 als „Deutschlands Business Angel des Jahres“ ausgezeichnet.