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Laute Musik, durch die Luft wirbelnde Bänder, durch die Luft fliegende Körper in engen silberglänzenden futuristischen Anzügen. Auf der Bühne bewegen sich 34 Tänzerinnen und Tänzer im Rhythmus der Musik. Sie verbiegen ihre ultrabeweglichen Körper auf nahezu unnatürliche Weise. Die österreichische Tanztruppe Zurcaroh, die schon bei der bekannten Fernsehsendung „America got Talent“ 2018 den zweiten Platz erringen konnte, bringt das Publikum zum Staunen. Es gibt Zwischenapplaus. Die Öffnungsveranstaltung des ECR 2024 fängt theatralisch an. 

Doch dann wird die Bühne schwarz. Die Tänzer haben sie geräumt und aus dem Dunkeln kommt eine Gestalt, ein Roboter, er bzw. sie erklärt zunächst mit bedrohlicher Stimme, dass sie den Titel „Emperor“ oder „Overlord“ bevorzugt. Keine Sorge, das ist alles nur ein Scherz! Der Roboter namens Ameca ist nach eigenen Angaben der fortschrittlichste seiner Art und führt gemeinsam mit ECR2024 Congress President Prof. Carlo Catalano durch die Veranstaltung.

Freund oder Feind?

Gemeinsam stellen sie die Zukunft der Radiologie unter dem Gesichtspunkt des alles beherrschenden Themas Künstliche Intelligenz in Aussicht. Dabei wird die KI nicht wie befürchtet, den Beruf des Radiologen überflüssig machen, sondern ihn zu einem besseren Mediziner machen, so ihre These. „KI ist der perfekte Begleiter“ fasst es der bekennende KI-Fan Catalano zusammen. 

So sind dann wohl die drei Filmeinspieler, die das Programm immer wieder unterbrechen, eigentlich positiv gedacht. Gezeigt wird eine Entwicklungsgeschichte, die sich bewusst an der Bibel und vergangenen Mythen orientiert. Die Intention war vermutlich, bestehende Ängste und kursierende Horrorszenarien aufzugreifen und sie in Wohlgefallen aufgehen zu lassen. Nach dem Motto: „Keine Angst – alles wird gut.“ Nur will das nicht so recht gelingen und der Zuschauer bleibt mit vielen Fragen zurück.  

Die Filmsequenzen, die in drei Akte aufgeteilt und mit „Genesis“; „Ragnarök“ und „Symbiose“ betitelt sind, bedienen sich bewusst mythischer und biblischer Referenzen. Die Handlung zeigt das Aufeinandertreffen einer KI auf einen menschlichen Astronauten auf einem dystopischen Planeten. Die KI ist den Menschen entwachsen, bricht aus, wächst ins Unermessliche und damit ins nicht mehr Kontrollierbare. Der Mensch jedoch bleibt stummer Zuschauer. Zur Untätigkeit verdammt, kann er nur hoffen, dass die KI nicht alles zerstört, Einfluss nehmen aber kann er nicht mehr. 

Die Geburt eines Gottes

Die KI ist auf der eigenen Sinnsuche und entscheidet sich schließlich doch für das Gute. Der Mensch spielt bei all dem lediglich die Nebenrolle und wird zum Zeugen der Geburt einer neuen Gottheit – dargestellt durch eine Referenz an das ikonische Deckenfresko Michelangelos, das die Berührung von Gottes und Adams Zeigefinger zeigt. Eine rosige Zukunft sieht irgendwie anders aus. 

Die Veranstaltung bringt vielleicht ungewollt vieles der nur schwer zu beantwortenden und immer noch zu verhandelnden Fragen in Sachen KI auf den Tisch, etwa: Wann genau verlieren wir die Kontrolle und was passiert dann? Was, wenn die Grenzen zwischen Mensch und Maschine immer weiter verwischen und die Maschine der bessere Mensch wird? Letztere Frage fand interessanten Widerhall in der Gegenüberstellung des Roboters Ameca und dem zweiten Akrobaten-Auftritt. Dieses Mal zeigte das Duo „La Vision acrobatics“ sein Können.  Die aus Budapest stammenden Künstler haben auch schon beim Cirque du Soleil gearbeitet und präsentierten eine Art „Akrobatik der Langsamkeit“ mit langsamen Bewegungen, die in kraftvollen Haltepositionen endeten und eine Art von Ästhetik transportierten, die Ameca geradezu neidisch werden ließ. Der Roboter zeigte sich beeindruckt von dem, zu was der menschliche Körper fähig ist, ist doch Ameca selbst in ihrer Beweglichkeit noch lange nicht so fortgeschritten, als dass sie den Künstlern Konkurrenz machen könnte. 

Was bleibt von der Veranstaltung? Bis zum Schluss hat die Eröffnungsfeier getan, was man halt so tut als Eröffnungsfeier, nämlich sich selbst und die eigene Zunft gefeiert, Goldmedaillen und Ehrenmitgliedschaften verteilt, aufstrebenden Talenten und verdienten Mitgliedern des ECR eine Bühne geboten. Aber sie hat auch noch etwas gezeigt: Eine neue Ära ist angebrochen, die viele Fragezeichen mit sich bringt. Was KI wirklich für die Zukunft der Radiologie in petto hat, weiß niemand genau. Vermutlich wird es eine Mischung aus vielen Möglichkeiten, einigen Herausforderungen und auch Niederlagen sein. Sicher ist – und darüber sind sich alle einig – sie wird alles verändern und damit mehr Gutes als Unangenehmes dabei herauskommt, müssen sich alle gestalterisch einbringen.