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Ein Radiologie-KI Kommentar von Guido Gebhardt 

Nicht nur die Industrie, sondern auch die Fachgesellschaften  befeuern die Kunden und Mitglieder international auf den Fachkongressen mit Aufrufen zu neuer Technologie. „Leading through Change“ hieß es in Chicago auf dem RSNA 2023, jetzt in Wien auf dem ECR lautet das Motto „Next Generation Radiology“ und im Mai folgt der Röko mit „Radiologie in Transformation“. Auch wenn man von der neuen Technologie selbst bislang nicht überzeugt ist, KI ist gekommen, um zu bleiben.

Sosehr ich mich seit 35 Jahren mit der Radiologie identifiziere, so sehr kann ich die Zurückhaltung der Radiologinnen und Radiologen in puncto KI-unterstützter Diagnostik verstehen.

Vielen von ihnen, denke ich, geht es genauso wie mir: Die Lage rund um KI ist noch nicht richtig einzuschätzen und die Angebote irgendwie unüberschaubar, obwohl sich schon einige Unternehmen herauskristallisiert haben, die zu den zukünftigen Marktführern gehören werden und gehören wollen.

Außerdem setzen viele Anwender KI noch mit Befundunterstützung gleich (Pixel-KI). Ki-Algorithmen findet man jedoch ebenfalls schon integriert in Modalitäten (Geräte-KI) oder zur Optimierung von Arbeitsabläufen (Workflow-KI).

Unübersichtlicher Markt

Die Funktionsfähigkeit irgendwelcher Algorithmen oder digitaler Plattformen soll hier wirklich nicht infrage gestellt werden. Aber in Summe fehlt mir immer noch ein schlüssiges Konzept, um KI in den radiologischen Alltag zu integrieren: Zu mannigfaltig sind die Möglichkeiten, zu konkurrierend die Angebote und zu schwer einzuschätzen sind die künftigen Entwicklungen.

Aber eines ist klar: KI ist gekommen, um zu bleiben. Und daran kann man auch nicht rütteln. Denn, und dessen scheinen sich bisher nicht alle bewusst zu sein: die KI-Revolution geht nicht von der Radiologie aus! Künstliche Intelligenz ist eine seit vielen Jahren bekannte Technologie, deren Durchbruch nur solange gedauert hat, weil die entsprechende Computerleistung bisher nicht zur Verfügung stand.

Mit dem sogenannten Turing-Test formulierte Alan Turing bereits 1950 eine Idee, um festzustellen, ob ein Computer über ein menschliches Denkvermögen verfügt. Gordon Moore stellte 1965 fest, dass sich bei gleichbleibenden Fertigungskosten die Zahl der integrierten Schaltkreise alle ein bis zwei Jahre verdoppeln wird. Inzwischen stehen die ersten Quantencomputer zur Verfügung, die nicht mehr nur die Zustände  Null und Eins kennen, sondern auch mit dem gleichzeitigen Zustand von Null und Eins umgehen können und nach dem Prinzip der Quantenmechanik funktionieren.

Neuheiten im Wochentakt

Wie Mustafa Suleyman, der Gründer von Deepmind, in seinem neuesten Buch schreibt, ist Technologie ein stetiger Prozess. Neue Erfindungen tragen zu neuen Erfindungen bei. 2010 wurde Deepmind von Mustafa Suleyman mit gegründet. Seit 2014 gehört das Unternehmen zu Google. Deepminds Algorithmus AlphaGo besiegte bereits 2015 den mehrfachen Europameister Fan Hui im japanischen Brettspiel Go.



Seitdem vergeht kaum ein Monat, in dem nicht neue Fortschritte bei der Künstlichen Intelligenz verkündet werden. Die aktuellsten Meldungen zu ChatGPT und Large Language Modellen dürften an kaum jemandem unbemerkt vorübergegangen sein.

Um sich darüber zu informieren, welches Potenzial in KI steckt, unser Leben zu verändern, dem sei Mustafa Suleyman neuestes Buch „The Coming Wave“ empfohlen. „Noch sprechen wir von Künstlicher Intelligenz, aber sobald es funktioniert, werden wir nur noch von Software sprechen“, postuliert der Autor.

Massive Marktkonsolidierung

Künstliche Intelligenz geht also nicht von der Radiologie aus, sondern die Radiologie wird, wie wohl alle anderen Branchen auch, von der kommenden Welle überrollt, ohne Möglichkeit NEIN zu sagen! Die Wucht der Aussagen von Suleyman hat mich selbst derart überrascht, dass ich diesen Artikel weniger als eine Woche vor Erscheinen des Magazins neu geschrieben habe.

Die beiden Übersichten habe ich noch im Herbst mit der Intention erstellt, einen Überblick über den aktuellen Markt zu bieten. Dabei geht es in der ersten Übersicht um die KI-Anbieter und deren Algorithmen. Die zweite Übersicht stellt dar, auf welchen digitalen Plattformen die unterschiedlichen Algorithmen angeboten werden. Dass die beiden Übersichten nur eine Momentaufnahme sein können, ist klar.

Seit letztem November mussten schon zwei Änderungen aufgrund von Firmenübernahmen eingepflegt werden: Aidence gehört nun genauso wie Quantib zu RadNet und beide verschmolzen zu DeepHealth. Außerdem gehört Osimis jetzt zu deepc. Erstere sind KI-Anbieter, bei deepc und Osimis handelt es sich um digitale Plattformen. Die Marktbereinigung ist in vollem Gang.

KI in der Radiologie macht jetzt schon Sinn!

Die oft zitierte Aussage von Geoff Hinton aus dem Jahr 2016, dass wir aufhören sollten, Radiologen auszubilden, wird branchenweit immer wieder infrage gestellt. Und bis zur Lektüre von „The coming Wave“ war ich derselben Meinung.

Glaubt man der Erfahrung und dem Fachwissen von Suleyman, befinden sich die aktuellen Entwicklungen von KI-Lösungen noch in den Kinderschuhen, denn die Algorithmen müssen anhand von Daten trainiert werden. Doch schon bald werden Large Language Models dafür sorgen, dass die Algorithmen sich anhand eigener Beobachtungen selbst trainieren. Es ist also zu erwarten, dass die Leistungsfähigkeit der momentan verfügbaren Lösungen von Monat zu Monat zunehmen wird.

Stellt sich die Frage: Ist es ein Vabanquespiel, sich bereits jetzt für eine Lösung und ein Unternehmen zu entscheiden, da eine radikale Marktkonsolidierung unmittelbar bevorsteht? Trotz des Entwicklungspotenzials und der bevorstehenden Marktbereinigung lautet meine Antwort eindeutig „Ja“. Denn KI ist gekommen, um zu bleiben, und die Algorithmen werden sich rasant weiter entwickeln.

Da sich der KI-Markt in den nächsten Jahren dynamisch entwickeln wird, habe ich einige Vorhersagen formuliert, die Interessenten bei der Entscheidung „KI jetzt oder später“ helfen sollen.

Sich jetzt mit KI nicht nur auseinanderzusetzen, sondern die Technik bereits anzuwenden, bringt Vorteile. Aber: Es bedarf einer klaren Strategie, wo und wie man den Workflow in der eigenen Einrichtung verbessern möchte.