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KI-Systeme sind auch aus vielen medizinischen Geräten nicht mehr wegzudenken. Dies gilt besonders für die radiologische Diagnostik. Doch wie weit sind die Hersteller hier? Welchen Nutzen haben die Algorithmen in den Geräten und welchen Einfluss haben die Erfahrungen und Wünsche der Anwender? 

Antworten auf diese und viele andere Fragen gab es bei einer Online-Veranstaltung der Reihe Zukunft Teleradiologie. Insgesamt fünf erfahrene Experten aus namhaften Unternehmen haben über 80 interessierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern ihre Produktinnovationen vorgestellt und einen Blick in die Zukunft der intelligenten Systeme geworfen. 

Den Anfang machte Dr. Tobias Heimann. Er ist Head of Artificial Intelligence Germany bei Siemens Healthineers. Das Unternehmen hat in den letzten 20 Jahren mehr als 80 KI-Lösungen auf den Markt gebracht, unter anderem im Bereich der Scan-Automatisierung sowie der Bildaufnahme und -auswertung. „Dank einer 3-D-Kamera an der Decke bei unseren CT- und Röntgengeräten, können die Patienten optimal vermessen und die Scan-Parameter automatisiert perfekt auf sie eingestellt werden. Das vereinfacht und beschleunigt nicht nur den Scan-Workflow, sondern sorgt auch dafür, dass weniger Strahlendosis benötigt wird“, erklärte Dr. Heimann. Bei der Bildaufnahme helfen verschiedene Deep Resolve-Technologien, das Rauschen zu reduzieren und die Qualität der Aufnahmen zu verbessern. Außerdem kann dadurch im besten Fall bis zu 88 Prozent der Scan-Zeit eingespart werden. Was die Bild-Auswertung anbelangt, so hat Siemens Healthineers kürzlich ein Produkt herausgebracht, das in CT-Scans Hirnblutungen automatisch erkennt und eine entsprechende Warnmeldung anzeigt, was vor allem im Bereich der Notfallbefundung hilfreich sei, so Dr. Heimann. Gleichzeitig erkennt das System automatisch, wo sich der Schädel des Patienten befindet, markiert diesen und „entfaltet ihn“ (Stichwort Skull Unfolding), sodass eine Visualisierung erzeugt werde. Dadurch sieht man die komplette Schädeldecke auf einen Blick. „Verletzungen und Brüche werden so wesentlich schneller entdeckt“, betonte der Experte.

Dr. Tobias Heimann, Head of Artificial Intelligence Germany bei Siemens Healthineers.

Dr. Heimann ist sich sicher, dass trotz der rasanten Fortschritte der vergangenen Jahre, das Ende der Entwicklung noch lange nicht erreicht ist, da die globalen Trends, die die KI-Entwicklung antreiben, so schnell nicht ihre Gültigkeit verlieren werden. Zum einen verweist er in diesem Zusammenhang auf die demografische Entwicklung. „Wir brauchen die Automatisierung, um auch in Zukunft eine qualitativ-hochwertige medizinische Versorgung sicherzustellen.“ Möglich wird die Automatisierung immer besser durch den zweiten Trend, den Dr. Heimann im Rahmen seines Vortrags ansprach: die technologische Entwicklung. „Die Rechenkapazität steigt exponentiell an.“

Vor diesem Hintergrund arbeite Siemens Healthineers kontinuierlich weiter an immer neuen KI-Produkten. Derzeit unter anderem an einem Prototyp zur Analyse von Koronararterien. Im Bereich der Therapie sei das Unternehmen dabei, ein System weiterzuentwickeln, das, basierend auf Bilddaten und Daten aus der Patientenakte, Vorhersagen darüber treffen kann, ob ein Patient auf die geplante Therapie ansprechen wird oder nicht. „Dies ermöglicht in Zukunft eine wesentlich zielgerichtetere Therapie und wir sparen kostbare Zeit“, so Dr. Heimann. 

In greifbare Nähe gerückt sei auch ein virtueller, KI-gestützter Radiologie-Assistent. Gerade der Bereich Onkologie wird komplexer. Wir haben immer mehr Informationen (molekulare Daten, genetische Profile etc.), die es zu berücksichtigen gilt. Doch wer bewahrt bei so vielen Informationen aus unterschiedlichen Bereichen den Überblick? „Im Rahmen eines Forschungsprojektes mit der Universität Göttingen bauen wir gerade ein System, das die Daten zusammenführt und bewertet. Der behandelnde Arzt kann sich dann mit einem virtuellen Radiologie-Assistenten über den Patienten unterhalten; dieser reagiert auf natürliche Sprache,“ erklärte Dr. Heimann. Noch sei das System nicht so weit ausgereift, dass man es sofort anwenden könnte (Stichwort Halluzinationen), „doch bei der schnellen Entwicklung glauben wir, dass es kein Science Fiction mehr ist, sondern wir es relativ bald, vielleicht in einem Zeitraum von fünf Jahren, tatsächlich erleben werden“, so Dr. Heimann abschließend. 

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Nach Siemens Healthineers stellte mit GE HealthCare ein weiterer Großer der Branche seine KI-Innovationen vor. In ihren Vorträgen zeigten Dr. Claudia Stehle, Product Manager MR, und David Hahn, Product Specialist CT, wie KI den klinischen Workflow unterstützt. „GE HealthCare bietet verschiedene digitale KI-gestützte Lösungen für Anwender, die man grob in zwei Bereiche aufteilen kann“, erklärte Dr. Stehle. „Zum einen bieten wir Lösungen, die mehr in der Peripherie der Geräte ihren Einsatz finden.“ Hier sei vor allem die Plattform Imaging 360 zu nennen, die verschiedene Bausteine biete, die Anwender dabei unterstützen, Prozesse zu optimieren und zu standardisieren. „Das geht bei der Terminierung der Patienten los. Hier treffen RIS-basierte KI-Tools unter Einbeziehung von Wetter- und Verkehrsdaten Vorhersagen darüber, ob ein Patient an einem bestimmten Tag zur Untersuchung erscheint oder nicht, was dabei hilft, die Terminierung zu optimieren und Wartezeiten zu verkürzen,“ so Dr. Stehle. Weiter gehe es mit Tools zur Nutzungsanalyse des Geräteparks und standardisierten Untersuchungsprotokollen für den gesamten Gerätepark.

Dr. Claudia Stehle, Product Managerin MR bei GE HealthCare 

Ein weiterer Baustein helfe dabei, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken: „Mit unserem Digital Expert Access bieten wir die Möglichkeit, Remote zu scannen und zu unterstützen. Das heißt, eine hoch qualifizierte Fachkraft sitzt in einem Cockpit und kann mehrere Geräte bedienen oder Anwender vor Ort unterstützen, die nicht ausreichend geschult sind, eine schwierige Untersuchung allein durchzuführen,“ betonte die Expertin. Neben den peripheren KI-Lösungen bietet GE HealthCare aber auch eine ganze Reihe KI-Lösungen, die direkt in die MRT- und CT-Geräte integriert sind und dazu beitragen, Untersuchungs- und Wartezeiten zu verkürzen, die Bildqualität zu verbessern, Fehler zu minimieren, die Strahlendosis zu reduzieren sowie die Qualität der Befundung zu erhöhen.

David Hahn, Product Specialist CT bei GE HealthCare

Im Bereich der CT-Nachverarbeitung verwies David auf ein ganz besonderes Feature: „Im Bereich der CT-Rekonstruktion verwies David Hahn auf ein ganz besonderes Feature: „Unsere Deep Learning Bildrekonstruktion TrueFidelity ist in der Lage, die Bildqualität deutlich zu verbessern. Gleichzeitig kann die Dosis laut Studien um bis zu 96 Prozent im Vergleich zu bisherigen, iterativen Verfahren, gesenkt werden. Zu dieser etablierten GE HealthCare Technologie gibt es fast 100 wissenschaftlichen Studien.“ so der Experte. 

Um den Nutzen von KI und Deep-Learning vor, während und nach dem CT-sowie MRT-Scan ging es auch in dem Vortrag von Michael Glasa, Produktmanager Healthcare IT & Manager Sales Support CT bei Canon Medical. Auch bei diesem Unternehmen helfen kamerabasierte Systeme, die Scan-Vorbereitung so zu automatisieren, dass der Patient perfekt positioniert ist. „Die MTR muss jetzt nur noch dem System sagen, welche Region gescannt werden soll und den Scan auslösen“, so Glasa. Beim Scan selbst, gibt es bei Canon Medical allerdings eine Neuerung. Das Unternehmen nutze hier nicht mehr klassisches AP und laterale Scanogramme, sondern setze stattdessen auf ein Scanogram mit Automatic Landmark Detection (ALD), wodurch die Untersuchung komplett automatisch geplant werden könne.

Michael Glasa, Produktmanager Healthcare IT & Manager Sales Support CT bei Canon Medical

Im Bereich der Bildgenerierung hat das Unternehmen seinen 2019 zugelassenen Deep-Learning-Rekonstruktionsalgorithmus AiCE zur nochmaligen Optimierung der Visualisierungen weiter ausgebaut und setzt nun auf den PIQE-Algorithmus. Damit befände man sich im ultrahochauflösenden Bereich, wodurch auch kleinste Strukturen besser sichtbar gemacht werden könnten. Dies sei vor allem bei der Visualisierung von Plaque, Stents, Calcium und Lumen relevant und ermögliche in diesem Bereich eine bessere Befundungsqualität. 

Bei der Rekonstruktion bzw. Nachverarbeitung der Bilder greift Canon Medical auf seine Automation Platform zurück. „Dabei handelt es sich um eine sogenannte ‘Null-Klick-Lösung’“, erklärte Glasa. „Das heißt, der Anwender macht keinen einzigen Klick, denn die Bilder werden automatisch von den jeweiligen Systemen an die Automation Platform geschickt, wo das Ganze prozessiert wird.“ Die Automation Platform verwende auch einen Deep-Learning-Algorithmus zur Erkennung der anatomischen Strukturen was hervorragend dazu diene, Anomalitäten festzustellen sowie eine genauere Triage vorzunehmen. 

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Nicht um Schnittstellenverfahren, sondern um die intelligente Assistenz beim Röntgen ging es im letzten Vortrag der Session. Frank Barzen, Head of Marketing & Pre-Sales Europe bei Agfa Healthcare Germany, stellte mit dem SmartXR-Portfolio Lösungen vor, die Radiologietechnolog:innen während einer Untersuchung dabei unterstützen, gleich das erste Bild korrekt zu erstellen und den Radiologinnen und Radiologen zusätzliche klinische Informationen zu liefern. Durch den Einsatz intelligenter Software und Sensoren könnten Nachbearbeitungen sowie Wiederholungsaufnahmen reduziert und damit Zeit gespart werden. Zur Verdeutlichung gab Barzen ein beeindruckendes Rechenbeispiel: „Ein Röntgenraum im Krankenhaus hat an 365 Tagen pro Jahr täglich 50 Patienten. Im Durchschnitt müssen 18 Prozent aller Röntgenaufnahmen wiederholt werden, was in 68 Prozent der Fälle an einer ungenauen Positionierung des Patienten liegt. Durch die Eliminierung von Positionierungsfehlern mit SmartPositioning könnte das Krankenhaus 2.233 Wiederholungsaufnahmen im Jahr vermeiden. Da eine Wiederholungsaufnahme etwa drei Minuten dauert, entspricht dies einer Zeitersparnis von 111 Stunden pro Jahr.“ Außerdem erhöhten die intelligenten Lösungen die Konsistenz bei der Bildaufnahme sowie der Bilddarstellung und ermöglichten eine schnellere und patientenspezifischere Dosiseinstellung.

Frank Barzen, Head of Marketing & Presales Europe bei Agfa Healthcare Germany

Wie Barzen erklärte, hat AGFA noch ein weiteres großes KI-gestütztes Produktportfolio: die ScanXR-Reihe. Damit biete das Unternehmen Radiologinnen und Radiologen ein Sicherheitsnetz, indem sie die Erkennung von Pathologien aus routinemäßigen Röntgenbildern automatisieren und den Behandlungspfad optimieren. Das sei vor allem in der Notfallbefundung sehr wichtig.

Beeindruckende Entwicklung

Nach den Vorträgen zeigten sich die Initiatoren der Veranstaltungsreihe Zukunft Teleradiologie beeindruckt: „Es ist erstaunlich, was sich auf diesem Gebiet inzwischen getan hat“, freut sich Dr. med. Torsten Möller, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Teleradiologie und Vorstand von Deutschlands größtem, zertifizierten Teleradiologienetz reif & möller. „Die KI ist mittlerweile sowohl in fast allen medizinischen Großgeräten als auch in der täglichen Routine angekommen.“ „Und zwar zum Nutzen sowohl der Ärzte und des medizinischen Personals als auch der Patienten“, ergänzte sein Mit-Initiator, Dr. Uwe Engelmann, Geschäftsführer der Nexus/Chili GmbH. „Und die Entwicklung geht rasant weiter“, fügt der dritte Initiator der Veranstaltungsreihe, Detlef Hans Franke, Geschäftsführender Gesellschafter der auf Gesundheit spezialisierten Frankfurter Kommunikations- und Marketingagentur FuP, hinzu.

Einig waren sich die drei auch in dem Punkt, dass trotz der beeindruckenden Entwicklung Ärzte und medizinisches Personal keine Angst haben müssen, dass sie durch den Einsatz intelligenter Systeme überflüssig werden: „Ärzte und medizinisches Personal wird es immer geben“, ist sich Franke sicher. „Es werden sich nur teilweise die Aufgaben und Prozesse verändern“, so Engelmann. „Am Ende wird die KI nicht den Arzt als Fachkraft ersetzen, sondern nur diejenigen, die keine KI nutzen wollen“, prognostizierte Dr. Möller und rät deshalb seinen Kollegen, sich dieser Entwicklung nicht zu verschließen, sondern besser deren Richtung zu beeinflussen und an der Weiterentwicklung mitzuarbeiten.

Detlef Hans Franke und Pia Bolten, FuP Kommunikation, Frankfurt am Main

zukunft-teleradiologie.de