KI: Zwischen Potenzial und Praxis

Die Vorstellung des Future Health Index Deutschland 2025 wurde von Nicolas...
Die Vorstellung des Future Health Index Deutschland 2025 wurde von Nicolas Weber (r) moderiert. Weber ist Unternehmer und Mitgründer der Deutschen Gesellschaft zur Förderung von KI in der Medizin. Schon seine Eröffnung machte klar, worum es geht: „Die KI, die wir heute kennen, ist die schlechteste Version, die es jemals geben wird.“ Mit anderen Worten: Das, was heute wie Hightech wirkt, wird in wenigen Jahren selbstverständlich sein – vorausgesetzt, alle Beteiligten ziehen an einem Strang. (vlnr: Dr. Uwe Heckert, leitet den Geschäftsbereich Healthcare Informatics bei Philips. Dr. Georg Kippels, parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Gesundheit. Prof. Christoph Herborn, Radiologe und ärztlicher Direktor am städtischen Klinikum Dessau. Dr. Christine Mundlos, stellvertretende Geschäftsführerin der Allianz chronischer, seltener Erkrankungen, der Achse e.V. Dirk Weller, PR-Referent der Barmer Ersatzkasse und Mitglied des Gesamtvorstands der Initiative D21. Matthias Mieves ist Mitglied des Bundestags und stellvertretender gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion.)
Quelle: Guido Gebhardt

Im Rahmen einer von Philips organisierten Podiumsdiskussion zur Vorstellung des Future Health Index Deutschland 2025  in der Niederländischen Botschaft in Berlin diskutierten Expertinnen und Experten aus Politik, Klinik, Patientenvertretung und Industrie am 26.Juni 2025 über die Chancen und Grenzen von Künstlicher Intelligenz (KI) im Gesundheitswesen.

Dass KI in der Versorgung bereits angekommen ist, schilderte Prof. Dr. Christoph Herborn, Ärztlicher Direktor des Städtischen Klinikums Dessau. Dort unterstützt Software den Notaufnahmedienst beim schnellen Erkennen kritischer Befunde und warnt frühzeitig vor drohender Niereninsuffizienz auf der Intensivstation. „Es gibt keinen Patienten, der in die Notaufnahme kommt und sagt: ›Ich möchte eine KI-basierte Diagnose‹ – sie wollen einfach die richtige Entscheidung“, erklärte Herborn. Entscheidend sei daher, dass KI-Algorithmen un

Prof. Christoph Herborn beim Future Health Index
BU Herborn Prof. Christoph Herborn ist einer der profiliertesten Klinikmanager Deutschland . Er kennt die Herausforderungen der Versorgung aus operativer Verantwortung.
Quelle: Guido Gebhardt
auffällig in den Workflow eingebettet werden, Prozesse beschleunigen und dem medizinischen Personal Zeit verschaffen. Er plädierte dafür, den Einsatz kenntlich zu machen – etwa durch den Hinweis „Powered by AI“ im Befund –, solange ein ärztlicher Blick das Ergebnis absegnet. Transparenz schaffe Akzeptanz, ohne den klinischen Ablauf zu belasten.

Datenbasis: Rohstoff und Engpass zugleich

Fast alle Diskutierenden kamen auf das zentrale Problem der Datenverfügbarkeit zu sprechen. Deutschland verfügt über enorme Datenmengen – bei Krankenkassen, in Krankenhäusern, in Forschungseinrichtungen –, doch fehlende Interoperabilität und heterogene IT-Infrastrukturen erschweren ihre Nutzung. „Eine KI kann nur so gut sein wie die Daten, mit denen sie arbeitet“, betonte SPD-Bundestagsabgeordneter Matthias Mieves. Mit der elektronischen Patientenakte (ePA), dem E-Rezept und dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz habe man erstmals einen politischen Rahmen, der eine bundesweite, semantisch durchsuchbare Datenbasis ermögliche. „Wir haben die Aufholjagd begonnen – jetzt müssen wir jeden Monat ein Stück besser werden.“

Dr. Georg Kippels, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, sieht darin einen Balanceakt: „Wir brauchen Innovation, ohne das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung zu ignorieren.“ Aufgabe der Politik sei es, komplizierte Zusammenhänge allgemeinverständlich zu erklären. Nur so lasse sich das Spannungsfeld zwischen Datenschutz und Versorgungsverbesserung auflösen.

Aus Patientensicht: Daten ja – aber sicher

Wie wichtig Vertrauen ist, verdeutlichte Dr. Christine Mundlos von der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE e. V.). Betroffene mit seltenen Erkrankungen warteten oft Jahre auf eine korrekte Diagnose; für sie können KI-gestützte Analysen lebensverändernd sein. „Unsere Patienten und Patientinnen geben ihre Daten gerne, aber sie wollen, dass sie sicher sind und nicht zur Diskriminierung führen“, betonte Mundlos. Sie forderte eine offensivere Kommunikationsstrategie zur ePA, vergleichbar mit der aktuellen E-Rezept-Kampagne: Prominente Gesichter und verständliche Botschaften könnten helfen, Skepsis abzubauen. Außerdem brauche es dringend ein Registergesetz, das klinische und genetische Daten standardisiert zusammenführt. Ohne gut gepflegte Register bleiben viele KI-Modelle Spielerei.

Digitale Teilhabe: Kompetenzlücken schließen

Doch selbst die beste Infrastruktur nützt wenig, wenn große Teile der Bevölkerung den digitalen Anschluss verpassen. Laut Dirk Weller von der Initiative D21 verfügt nur etwa zwei Drittel der Deutschen über ausreichend „digitale Resilienz“. „Ein Drittel der Menschen droht digital abgehängt zu werden“, warnte er. Weller plädierte für zielgruppenspezifische Bildungsangebote: Technikaffine „Silver-Geeks“ könnten als Multiplikatoren in älteren Zielgruppen dienen, während KI-Erklärformate in einfacher Sprache den Einstieg erleichterten. Entscheidend sei, zwischen blindem Vertrauen und informiertem Vertrauen zu unterscheiden – nur wer versteht, wozu ein Algorithmus fähig ist und wo seine Grenzen liegen, könne ihn verantwortungsvoll nutzen.

Industrielle Perspektive: Integration schlägt Modell-Komplexität

Für die Industrie, vertreten durch Dr. Uwe Heckert, Leiter Healthcare Informatics bei Philips, stehen zwei Aufgaben im Vordergrund: erstens praxistaugliche Produkte zu entwickeln, zweitens echte Workflow-Integration sicherzustellen. „Wir müssen KI runterdampfen – weg vom Hype, hin zu konkreten Anwendungsfällen“, sagte Heckert. Wenn eine Radiologin durch fünf verschiedene KI-Plugins klicken müsse, um einen einzigen Befund zu erstellen, sei niemandem geholfen. International gebe es ausreichende Beispiele für gelungene Implementierungen: In Norwegen priorisiere ein Algorithmus bereits regulär Thorax-CTs, in Singapur analysiere KI nahezu in Echtzeit Vitaldaten auf Intensivstationen. Heckert sieht Deutschland weniger durch fehlende Technologie, sondern durch lange Zulassungsverfahren und siloartige IT-Strukturen gebremst.

Regulatorischer Rahmen: Fortschritt trotz Haftungsdebatte

Ein Dauerbrenner blieb die Frage der Haftung. Zwar räumten alle ein, dass klare Verantwortlichkeiten notwendig sind – doch dürfe sich die Diskussion nicht in Worst-Case-Szenarien verlieren. „Wir dürfen nicht zuerst darüber reden, was alles schief gehen kann; wir müssen zeigen, wie viele positive Ergebnisse KI bereits liefert“, mahnte Kippels. Herborn ergänzte, dass Haftungsklagen in der Praxis selten die Diagnostik beträfen; die meisten Streitfälle entstünden nach chirurgischen Komplikationen. Das Beispiel verdeutliche, dass überbordende Angst vor KI-Fehlern oft mehr mit Wahrnehmung als mit realistischen Risikobewertungen zu tun habe.

Gemeinsame Verantwortung: Vom Pilot zur Routine

Am Ende der Debatte kristallisierten sich mehrere Handlungsfelder heraus:

1. Datenqualität und -verfügbarkeit: Politische Initiativen wie ePA und Gesundheitsdatennutzungsgesetz müssen konsequent umgesetzt, Register harmonisiert und Schnittstellen verbindlich standardisiert werden.

2. Workflow-Integration: KI-Module dürfen keine Insellösungen sein. Nur wenn sie nahtlos in PACS, RIS und KIS eingebettet sind, entsteht messbarer Mehrwert.

3. Vertrauensaufbau: Transparente Kennzeichnung („AI inside“), verständliche Bürgerkommunikation und realistische Erfolgsbeispiele erhöhen die Akzeptanz.

4. Digitale Gesundheitskompetenz: Differenzierte Schulungs- und Informationsangebote verhindern eine digitale Spaltung und stärken informierte Teilhabe.

5. Regulatorische Pragmatik: Zulassungsprozesse müssen sicher, aber zügig sein, damit Innovationen nicht ins Ausland abwandern.

Nicolas Weber brachte den Konsens abschließend auf den Punkt: „Wenn wir heute nicht handeln, wird uns die nächste KI-Generation überholen – und damit auch die Chance, sie nach unseren Werten zu gestalten.“

Die Botschaft des Abends ist klar: KI ist längst Teil der Medizin. Ihr volles Potenzial entfaltet sie aber nur, wenn Politik, Versorgung, Industrie und Zivilgesellschaft gemeinsam handeln – technologisch innovativ, organisatorisch durchdacht und gesellschaftlich verantwortungsbewusst.




Future Health Index Deutschland 2025 – Zusammenfassung in wenigen Worten:

Future Health Index 2025 Deutschland
Der Future Health Index offenbart deutliche Ineffizienzen im deutschen Gesundheitssystem: 82 Prozent der medizinischen Fachkräfte verlieren täglich wertvolle Arbeitszeit aufgrund unvollständiger oder unzulänglicher Patientendaten.
Quelle: Philips

Der Future Health Index 2025 von Philips zeigt: Obwohl medizinische Fachkräfte in Deutschland großes Potenzial in der Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI) sehen, mangelt es an Vertrauen – vor allem in der Bevölkerung. Die größten Hürden für eine breitere KI-Nutzung sind rechtliche Unsicherheiten, mangelnde Transparenz, ineffiziente IT-Systeme und zu wenig anwenderfreundliche Lösungen. Für eine erfolgreiche Integration braucht es laut Report fünf Voraussetzungen: eine menschenzentrierte Entwicklung, klare rechtliche Rahmenbedingungen, kollaborative Mensch-KI-Modelle, valide Datengrundlagen und sektorübergreifende Partnerschaften.

Anbieter

Philips Healthcare

Röntgenstr. 24
22335 Hamburg
Deutschland

www.philips.de

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