Die Prostata-MRT hat sich als präzise Methode etabliert, um unnötige Biopsien zu vermeiden. Doch wie sinnvoll ist der Einsatz von KI? Studien zeigen, dass die Genauigkeit bei der Prostatabefundung stark von der Erfahrung der Radiologen abhängt. KI-Algorithmen könnten hier helfen, die Befundqualität zu verbessern und Arbeitsabläufe zu optimieren. Aber kann die Technologie die hohen Erwartungen erfüllen und ist sie auch ökonomisch sinnvoll? Dieser Artikel beleuchtet, wo KI in der Prostatadiagnostik wirklich einen Unterschied machen kann.
Stand der Prostata-MRT heute
Durch die kontinuierliche und umfassende wissenschaftliche Evaluierung im letzten Jahrzehnt hat sich die bi-und multiparametrische MRT-Untersuchung der Prostata inzwischen weitestgehend etabliert. Zu den größten Vorteilen zählt die hierdurch ermöglichte präzise Lokalisation von malignomsuspekten Herdbefunden. Diese werden standardisiert nach den PI-RADS 2.1-Richtlinien (Prostate Imaging Reporting and Data System) klassifiziert. Hierauf aufbauend wird bei der MRT-Untersuchung der Prostata ein hoher negativer prädiktiver Wert erreicht und überflüssige Biopsien für den Patienten vermieden.
Die Leitlinien-gerechte Befundung nach PI-RADS ist jedoch durchaus komplex und erfordert eine entsprechende Expertise. Hinzukommend muss der jeweilige Befunder viele manuelle, zeitintensive Schritte durchführen, wie z. B. die Berechnung des Prostatavolumens, der PSA-Dichte und vor allem die Anfertigung eines Prostata-Schemas, in welchem alle relevanten Herdbefunde eingezeichnet werden wollen.
Die PROBASE-Studie hat bereits letztes Jahr gezeigt, dass die digital-rektale Untersuchung für das Screening bei jüngeren Patienten ab 45 ungeeignet ist1. Nun ergänzt die Forschungsgruppe um Prof. Lars Schimmöller und Matthias Boschheidgen, dass das Prostata-MRT besonders bei 45-bis 50-Jährigen schwer zu interpretieren ist. Die aktuelle Studie zeigt, dass die Genauigkeit der MRT bei der Erkennung von klinisch signifikantem Prostatakrebs (csPC) stark von der Erfahrung des Radiologen abhängt. Daher kommen die Experten aus Düsseldorf zu dem Schluss, dass eine doppelte Befundung sinnvoll sein kann2. Es bleibt jedoch fraglich, ob die begrenzte Anzahl an Q2-zertifizierten Radiologen mit dem Anstieg der Fallzahlen Schritt halten kann.
Selektivverträge und KI weisen den Weg in die Zukunft
Selbst wenn insgesamt genügend Experten das Q2-Zertifikat ablegen, werden diese nicht immer und überall zeitnah verfügbar sein. Besonders im ländlichen Raum, wo das Verhältnis von Radiologen zu Patienten geringer ist und im hektischen Alltag, könnte die Integration von KI-basierten Erkennungs-und Bewertungsalgorithmen für die Zweitbefundung ein kluger Schachzug sein. Diese Algorithmen haben daher das Potenzial, maßgeblich dazu beizutragen, eine flächendeckend hohe Befundqualität sicherzustellen. Doch zu welchem Preis? Letztendlich muss der Einsatz auch unter wirtschaftlichen Aspekten sinnvoll sein.
Aus gesundheitsökonomischer Sicht kann die MRT-Diagnostik einen wertvollen Beitrag zur Senkung der Gesamtkosten leisten, indem unnötige Behandlungen und Komplikationen vermieden werden. Auf Mikroebene ist die Situation jedoch verzwickter. Die Nachfrage durch Patienten und urologische Zuweiser nimmt zwar zu, jedoch werden die Kosten aktuell nicht standardmäßig von der GKV übernommen.
Glücklicherweise zeichnet sich auch hier eine Zeitenwende ab. Seit dem 1. Januar 2023 besteht ein Selektivvertrag zwischen der Managementgesellschaft MEDIQX health management, dem Berufsverband der Deutschen Radiologen und dem Krankenkassen-Dienstleister GWQ ServicePlus zur mpMRT der Prostata. Über den Vertrag übernehmen mittlerweile bereits 40 Krankenkassen die Kosten für die Durchführung einer mpMRT bei Verdacht auf oder gesicherter Diagnose Prostatakarzinom für ihre gesetzlichen Versicherten. Das KI Unternehmen mediaire und MEDIQX haben außerdem eine strategische Partnerschaft geschlossen, um erstmalig eine Vergütungsposition für eine KI-gestützte Zweitbefundung, wie den Einsatz von mdprostate, im Rahmen eines Selektivvertrages mit den Krankenkassen zu verhandeln. Doch selbst ohne direkte Vergütung setzen immer mehr Kliniken und Praxen KI-Tools ein, um Arbeitsabläufe zu optimieren, die Qualität zu sichern und Untersuchungszeiten zu verkürzen.
Teilautomatisierung als Effizienztreiber
Der steigende Bedarf an radiologischen Befunden und der gleichzeitige Fachkräftemangel stellen große Herausforderungen dar. Gerade wenn eine engmaschige Überwachung einer stetig wachsenden Patientengruppe gewährleistet werden soll, was bei der Prostatadiagnostik notwendig ist, wird hier in Zukunft mit großer Wahrscheinlichkeit ein echter Engpass entstehen. Ein standardisierter und effizienter radiologischer Workflow von der Bildakquise bis zum finalen Befund ist daher unverzichtbar. Die passenden KI-Lösungen schaffen hier Abhilfe, indem sie die Arbeitsbelastung der Radiologen und Urologen reduzieren und die Befundung beschleunigen. Dies ermöglicht Radiologen, sich auf komplexere Fälle zu konzentrieren und die Patientenversorgung zu verbessern.
Neben der Befundsicherung und allgemeinen Effizienzsteigerung hat KI das Potenzial, ein echter Game Changer für die flächendeckende Active Surveillance (aktive Überwachung) von Prostatakarzinomen zu werden. Durch den automatischen Vergleich aktueller MRT-Bilder mit Vorbefunden ermöglicht KI eine zeitgemäße und engmaschige Verlaufskontrolle. Dies ist essentiell für die frühzeitige Erkennung von Veränderungen und die Anpassung der Therapie.
Die Wahl des richtigen Tools
Die Auswahl des richtigen Tools entsprechend den individuellen Anforderungen ist ein entscheidender Schritt und keineswegs trivial. Denn nicht alle KI-Lösungen sind gleich und jeder Hersteller preist seine Produkte als die beste Wahl an. Besonders in der Prostatadiagnostik, wo mit PI-RADS ein wichtiger Standard etabliert wurde, ist es von großer Bedeutung, den eigenen Workflow mit und ohne KI-Unterstützung zu vergleichen. Je nach Hersteller wurden dabei andere Schwerpunkte gesetzt. Während manche Anbieter viele unterschiedliche Möglichkeiten der unterstützten Auswertung wie Detektionsboxen, ROI-Vorschläge oder Heatmaps anbieten, haben sich andere besonders auf die vollständige Automatisierung und Workflowoptimierung fokussiert.
Ein gutes Beispiel ist hier mdprostate von mediaire. Das neueste KI-Tool des deutschen Unternehmens mit Sitz in Berlin bietet eine vollautomatische Läsionsklassifizierung nach den PI-RADS 2.1-Richtlinien und ist vollständig in das PACS integriert. Innerhalb von weniger als drei Minuten erhalten Anwender einen detaillierten Bericht mit quantitativen Parametern wie dem Prostatavolumen und Veränderungen der Läsionen im Vergleich zu Voruntersuchungen.
Die Berichte enthalten zudem eine intuitive grafische Darstellung der Läsionen auf einer Sektorenkarte, was den gesamten Befundungsprozess erheblich vereinfacht und beschleunigt. Radiologen profitieren von einem schnellen, quantitativen Zweitbefund. Urologen können die detaillierten Segmentierungen direkt für die Fusionsbiopsie nutzen, was die Genauigkeit der Eingriffe erhöht. Für Patienten bedeutet dies eine klarere, leicht verständliche Darstellung ihrer Befunde. Damit sind sie besser informiert, was auch zu einer besseren Beteiligung an ihrer eigenen Gesundheitsversorgung führt.
Jetzt implementieren oder noch warten?
Die Integration von KI in die Prostatadiagnostik hat das Potenzial, die Befundqualität zu verbessern und Arbeitsabläufe effizienter zu gestalten. Dennoch bestehen noch einige Unsicherheiten, insbesondere in Bezug auf die flächendeckende Verfügbarkeit und die ökonomische Tragfähigkeit. Viele Gesundheitssysteme und Versicherungen übernehmen die Kosten für KI-Tools derzeit nicht vollständig, was ihre breite Anwendung einschränkt.
Trotz dieser Hürden kann es sinnvoll sein, bereits jetzt in KI-Tools zu investieren und sie in der Praxis zu testen. Die Algorithmen ermöglichen bei richtigem Einsatz eine höhere diagnostische Genauigkeit, optimierte Arbeitsprozesse und eine reduzierte Arbeitsbelastung. Das verbessert nicht nur die Qualität der Patientenversorgung, sondern bereitet Radiologen auch auf zukünftige Entwicklungen vor, in denen KI-gestützte Lösungen vermutlich Standard werden.
Mit fortschreitender Forschung und zunehmender Akzeptanz durch Gesundheitssysteme und Fachleute wird KI voraussichtlich bald eine unverzichtbare Rolle in der Prostatadiagnostik spielen. Radiologen, die sich frühzeitig mit diesen Technologien auseinandersetzen und sie in ihre Praxis integrieren, positionieren sich an der Spitze dieser Entwicklung und könnten maßgeblich zur Transformation der diagnostischen Landschaft beitragen. Wann genau der Kipppunkt erreicht und das entsprechende Momentum gegeben ist, bleibt abzuwarten. Bei der rasanten Entwicklung der KI-Technologie könnten manche durchaus von der Geschwindigkeit des Wandels überrascht werden.
2 https://biermann-medizin.de/mrt-zur-prostatakrebs-erkennung-doppelbefundung-sinnvoll/
Im Gespräch erläutert Prof. Anno Graser, weshalb er die Geschwindigkeit und Reproduzierbarkeit der KI-basierten Prostatadiagnostik schätzt.
Prof. Graser, Sie sind einer der führenden Experten in der Prostatadiagnostik in Deutschland. Was hat Sie zu diesem Spezialgebiet geführt und wie hat sich Ihre Karriere in diesem Bereich entwickelt?
Bereits im Rahmen meiner Doktorarbeit habe ich mich mit der MRT der Prostata beschäftigt – beginnend 1999, also vor 25 Jahren. Seither habe ich persönlich mehr als 25.000 mpMRT-Untersuchungen der Prostata durchgeführt. Die Leidenschaft für die Uroradiologie entstand in meiner Facharztausbildung am Klinikum der Universität München – in der täglichen Zusammenarbeit mit den Kollegen der Urologie durfte ich das Fach in der Tiefe kennenlernen. Bis heute profitiere ich vom klinischen Hintergrundwissen, das ich in dieser Zeit erworben habe. Prägend war auch ein Forschungsaufenthalt am MSKCC in New York 2001, bei dem ich mit Prof. Hedvig Hricak, einer der Pionierinnen der MRT der Prostata, zusammenarbeiten durfte.
Ihr radiologisches Zentrum führt jährlich beinahe 5.000 Prostata-MRT-Untersuchungen durch. Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um sicherzustellen, dass Sie in der Breite eine entsprechende Befundqualität gewährleisten können?
Alle MRT-Untersuchungen der Prostata, die wir in der Radiologie München durchführen, werden entweder primär von mir gesehen und beurteilt oder zumindest von mir persönlich im 2nd-Look-Verfahren freigegeben. Somit wird sichergestellt, dass jeder einzelne Patient von meiner Erfahrung profitieren kann. Das ist zeitaufwendig, aber im Sinne der Konstanz ganz entscheidend. Unsere urologischen Kooperationspartner wissen, dass wir Wert auf allerhöchste Qualität in der mpMRT der Prostata legen, einer Untersuchung, die zu unseren Aushängeschildern zählt.
Die PROBASE-Studie zeigt, dass die Genauigkeit der MRT bei der Erkennung von klinisch signifikantem Prostatakrebs stark von der Erfahrung des Radiologen abhängt. Kann KI aus Ihrer Sicht helfen, diese Abhängigkeit zu reduzieren?
Aktuell kann man diese Frage mit „wahrscheinlich ja“ beantworten. Der Vorteil der KI liegt ja darin, dass die Software eine voxel-basierte Auswertung vor allem der Diffusionsmessung durchführt; hierdurch werden hyperzelluläre Bezirke mit hoher Genauigkeit erkannt, die einem unerfahrenen Radiologen durchaus entgehen könnten. Außerdem können die Ergebnisse der KI besonders in der peripheren Zone auch helfen, die Anzahl falsch positiver Befunde zu reduzieren, wie sie bei unerfahrenen Radiologen häufig vorkommen. In der Transitionalzone sehe ich insgesamt noch Verbesserungspotenzial für KI-Anwendungen; auch hier sind jedoch die aktuellen Entwicklungen schon sehr vielversprechend.
Wie beurteilen Sie die Rolle der Künstlichen Intelligenz in der Prostatadiagnostik? Welche Vorteile hat die Nutzung von KI-Algorithmen für Ihr radiologisches Zentrum und warum haben Sie sich für mdprostate von mediaire entschieden?
mdprostate stellt sich in der klinischen Routine bereits als robust heraus. Die KI ist anwenderfreundlich und schnell, somit kann sie problemlos in den Workflow integriert werden. Ich schätze es sehr, dass Kolleginnen und Kollegen, die ich in der mpMRT ausbilde, die KI nutzen können und sich damit selbst testen können. Häufig ist es bei Anfängern so, dass die KI wesentlich besser ist als der Mensch. Hier mitzuhalten ist Stimulus und Herausforderung zugleich. Als Top-Experte schätze ich die Geschwindigkeit und Reproduzierbarkeit der KI sehr; so kann auch ich meine Ergebnisse mit dem immer glechen Qualitätsstandard versehen und meine Befunde nachvollziehbar und medicolegal unangreifbar gestalten.
Was sind die größten ökonomischen Herausforderungen, denen Sie bei der Integration von KI in Ihren diagnostischen Workflow begegnen, und wie bewältigen Sie diese?
Aufgrund der Geschwindigkeit und Reproduzierbarkeit wird die KI fast jeden Radiologen ein Stück besser machen. In dieser Situation treten ökonomische Aspekte in den Hintergrund; vor allem, da in Kooperation mit mediaire sehr faire Konditionen beim Einsatz der KI erzielt werden konnten. Ich kann letztendlich nur dazu raten, KI im Bereich der Prostatadiagnostik flächendeckend einzusetzen, da die Vorteile auf der Hand liegen.
Welche Entwicklungen und Innovationen erwarten Sie in naher Zukunft im Bereich der Prostatadiagnostik und wo sehen Sie den größten Innovationsbedarf für die Industrie, insbesondere für KI-Anbieter?
Ein Top-Experte ist immer noch besser als die besten Algorithmen; dies wird sich meines Erachtens auch nicht so schnell ändern können, da der Mensch in Grenzfällen und bei atypischen Befunden einfach „schlauer“ ist als die beste KI. Innovationen sind nötig, um die Spezifität noch weiter zu verbessern, besonders in der Transitionalzone der Prostata. Auch wünsche ich mir, dass ich noch besser nachvollziehen kann, was genau der Algorithmus tut; die Lokalisationsschemata passen hier noch nicht immer genau zum erhobenen Befund. Ich bin mir aber sicher, dass wir diesbezüglich Innovationen quasi im Monatsrhythmus erleben werden. Ich freue mich, persönlich ein Teil dieser spannenden Entwicklung zu sein!