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Kliniken und vor allem Maximalversorger wie das Universitätsklinikum Bonn stehen vor einer großen Herausforderung, die sich in den nächsten Jahrzehnten durch den demographischen Wandel zuspitzen wird: Medizinischer Fachkräftemangel bei einer immer größer werdenden Anzahl komplex erkrankter Patientinnen und Patienten. Guido Gebhardt im Interview mit Prof. Ulrike Attenberger, Direktorin der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie UKB und Leiterin des ISMC-Projekt, über Workflow-Optimierung im Gesundheitswesen.

Um ein großes Projekt, wie den Innovative Secure Medical Campus, voranzubringen, wurde innerhalb der Klinikstrukturen ein Team etabliert, das interdisziplinär an Lösungen arbeitet (Bild: (C) Siemens Healthineers)

Mit Blick auf die Digitalisierung: Wie kann es gelingen, den fortschreitenden Personalmangel und den weltweiten Anstieg komplexer Erkrankungen in den Griff zu bekommen und Fortschritte zu erzielen?

Ich bin fest davon überzeugt, dass es uns nur mithilfe komplett digitalisierter Datenströme und den Methoden der Künstlichen Intelligenz gelingen wird, diese Herausforderungen zu bewältigen. 

Ein erster Schritt in diese Richtung ist die Integration der Schnittstellen unterschiedlichster IT-Systeme, die bereits heute in den verschiedenen Fachbereichen zum Einsatz kommen. So zum Beispiel die Integration von KIS, RIS, PACS, NIS und Laborwerteservern sowie die strukturierte Datenspeicherung. Neben der digitalen Vorhaltung aller Daten der einzelnen Fachbereiche, sind auch deren strukturierte Speicherung sowie die Schnittstellenintegration Grundvoraussetzung für die Implementierung von KI-Methoden, zum Beispiel für die Entwicklung von Prognosemodellen sowie einer effizienteren Gestaltung der Workflows.

Gibt es bei Ihnen in Bonn bereits Ansätze, die Klinikworkflows zu verbessern?

Wir haben hier in Bonn das Projekt Innovative Secure Medical Campus (ISMC) gestartet. Für die effizientere Ablaufgestaltung, spielen Digitalisierung und Datensicherheit eine entscheidende Rolle. Unser Ziel ist es, mithilfe modernster Technologien, wie zum Beispiel 5G, Methoden der Künstlichen Intelligenz und OP-Robotik, das UKB als Innovative Secure Medical Campus zum Vorreiter für den Medizin-Campus der Zukunft auszubauen.

Muss die Radiologie zukünftig um ihre Technologieführerschaft bangen, wenn auf einmal andere Fachdisziplinen durch KI einen deutlichen Technologiesprung erzielen?

Den Zusammenhang würde ich gerne differenzierter betrachten. Ich erinnere mich oft an das Zitat von Geoff Hinton aus dem Jahr 2016, in dem er sagte, dass wir aufhören sollten, Radiologen auszubilden. Wenn wir nun, sieben Jahre später, zurückschauen, müssen wir feststellen, dass die Arbeit in der Radiologie eher zugenommen hat als abgenommen. 

Die weltweite Nachfrage nach radiologischen Untersuchungen steigt von Jahr zu Jahr. Als Radiologen benötigen wir KI als unterstützendes Werkzeug, um den wachsenden Anforderungen überhaupt  gerecht werden zu können. Ich sehe KI nicht als Bedrohung des Faches Radiologie, sondern viel mehr als ein Hilfsmittel, um diese steigende Zahl an Untersuchungen bewältigen zu können und durch eine optimierte Diagnostik unsere Kollegen in anderen Fachdisziplinen noch besser zu unterstützen. 

Die Sorge, dass die Radiologie als Fachgebiet verdrängt wird, teile ich überhaupt nicht. Meiner Ansicht nach wird  in Zukunft lediglich ein Radiologe, der sich nicht mit KI auseinandersetzt, eher an Relevanz verlieren, nicht jedoch das Fachgebiet als Ganzes. 

Ich bin fest davon überzeugt, dass es uns mithilfe von Digitalisierung und KI nicht nur gelingen wird spezifischer zu diagnostizieren, sondern auch die Prozesse zu optimieren und die Effizienz zu steigern, um dem Personalmangel und den steigenden Untersuchungszahlen zu begegnen.

Digitale Transformation, Künstliche Intelligenz und Big Data sind auch im Gesundheitswesen zukunftsweisend. (Bild: (C) UK Bonn)

Wo könnte die Radiologie Ihrer Meinung nach besser werden? 

Innerhalb des Bereichs der Radiologie besteht immer noch die Herausforderung, die KI-Algorithmen im Hinblick auf ihren diagnostischen Mehrwert besser zu verstehen. Ein Schlagwort in diesem Zusammenhang ist das Thema: Trustworthy-AI und Generalisierbarkeit von Diagnosemodellen. Daneben ist es ebenfalls von großer Bedeutung, die verschiedenen Ansätze länderübergreifend besser zu koordinieren. Ein bemerkenswertes Beispiel hierfür ist das RACOON-Projekt, das von der Charité gestartet wurde und mittlerweile alle 36 deutschen universitären Radiologien miteinander vernetzt hat. Dieses wegweisende Projekt ermöglicht es uns, gemeinsam zu entwickeln und zu testen. 

Welche Fachbereiche außerhalb der Radiologie erachten Sie als besonders bedeutsam und sollten Ihrer Meinung nach priorisiert digitalisiert werden?

Zu den relevanten Fachbereichen gehören zweifellos die bereits erwähnten Pathologen. Am Standort der Uniklinik Bonn sind nahezu alle Fachgebiete, die mit bildgebender Diagnostik in Verbindung stehen, in der KI-Forschung aktiv Neben der Radiologie zählen dazu vor allem die Augenheilkunde, die Dermatologie und auch die Humangenetik.

Abgesehen von der Radiologie spielt vor allem die Chirurgie in unserem Projekt eine bedeutende Rolle, insbesondere im Bereich robotischer Operationsverfahren und Augmented Reality, wo bereits beeindruckende Ergebnisse erzielt wurden. Wir arbeiten daran, diese Aspekte nahtlos interdisziplinär zu integrieren. 

Der Begriff Integrated Diagnostics wird in zunehmendem Maße im Kontext der ganzheitlichen Betrachtung von Patienten verwendet. Wie stehen Sie zu diesem Konzept und welche Meinung vertreten Sie dazu?

Dem Ansatz von Integrated Diagnostics gehört zweifellos die Zukunft, das ist auch unsere Vision hier in Bonn. Integrated Diagnostics zielt darauf ab, sämtliche Patientendaten in einer integrierten, holistischen Weise zu interpretieren. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es unerlässlich, die erforderlichen Grundlagen zu schaffen, um auf alle Patientendaten zugreifen zu können und sie mithilfe von KI-Algorithmen zu analysieren, um zu personalisierten Therapieansätzen zu gelangen.

Dies erfordert eine noch engere Vernetzung zwischen unterschiedlichen Fachdisziplinen und führt zwangsläufig zu einer komplexeren IT-Infrastruktur mit strukturieren Data Repositories. In meinen Augen stellt Integrated Diagnostics – neben der Optimierung von Prozessen – ein Schlüsselthema im Gesundheitswesen der Zukunft dar. Mit unserem Projekt Innovative Secure Medical Campus gehen wir bereits einen großen Schritt in diese Richtung.

www.ukbonn.de/radiologie

Titelbild (C) UK Bonn