Im Gespräch mit Guido Gebhardt erläutert Anton S. Quinsten, leitender MTR und Referent für Projektmanagement am Universitätsklinikum Essen, welchen Einfluss KI-Systeme auf den Tätigkeitsbereich von MTRs haben könnten.
Inwiefern werden KI-Systeme den Arbeitsalltag von MTRs verändern?
Die Erwartung von uns MTRs an das Veränderungspotenzial von KI-Systemen ist sehr hoch. Ich sehe darin sogar eine der wenigen Möglichkeiten, die zukünftigen Herausforderungen in unserem Beruf zu meistern. Es ist ja bekannt, dass aufgrund der geburtenstarken Jahrgänge zwischen 2030 und 2040 die Hälfte der MTR aus dem Berufsleben ausscheiden wird. Gleichzeitig sorgt der demografische Wandel für eine stetige Zunahme an Untersuchungen.
Dazu kommt noch ein hausgemachtes Problem: Obwohl wir fast 30 Jahre für ein neues MT-Gesetz gekämpft haben, hat es uns, als es am 1. Januar 2023 in Kraft trat, doch kalt erwischt. Denn mit dem neuen Gesetz waren die MTR-Schulen zunächst damit beschäftigt, sich auf die neuen Ausbildungsanforderungen einzustellen. Hinzu kamen nicht unwesentliche bürokratische Hürden Das alles führte dazu, dass zum einen die Schulen die Ausbildungsplätze reduziert haben und zum anderen, die vorgeschriebene Ausbildungsvergütung für Kliniken Grund genug war, die Anzahl der Auszubildenden zu reduzieren.
Wenn wir also auf deine Frage zurückkommen, inwieweit die Künstliche Intelligenz eine Rolle spielen wird, lautet die Antwort eher, inwieweit muss KI eine Rolle spielen, um die Herausforderungen, die auf uns zukommen, zu meistern.
Wo sehen Sie Potenzial für KI-basierte Unterstützung von MTRs im Arbeitsalltag?
Dazu, wie Künstliche Intelligenz im Tätigkeitsumfeld der MTR entlang des Behandlungspfads eingesetzt werden kann, gibt es bereits einige Publikationen. Die Bandbreite reicht von der Patiententerminierung, der Anmeldung, der Vorbereitung inklusive der Prüfung von Kontraindikationen und dem Vergleich von Voraufnahmen beziehungsweise Laborwerten bis hin zur Patientenlagerung.
im Untersuchungsgerät. Außerdem führt die MTR die Untersuchung durch, kümmert sich um die Nachbearbeitung von Untersuchungen und natürlich auch die Abrechnung. Auch diese Tätigkeiten können durch KI entlastet werden. Das Potenzial für die KI-basierte Arbeitsunterstützung von MTRs ist also riesig.
Gibt es bereits Bereiche, in denen sich KI-Systeme etabliert haben und MTRs unterstützen?
Ja, die gibt es. Das ist zum einen die Patientenpositionierung, wenn mithilfe von Kameras der Patient automatisch im Isozentrum des CT platziert wird. Zum anderen, wenn wir auf die MRT schauen, werden KI-basierte Beschleunigungstechniken verwendet, um das Field of View automatisch zu positionieren und die Untersuchungsdauer zu verkürzen. Aber auch im konventionellen Röntgen tragen KI-basierte Techniken bereits dazu bei, Arbeitsabläufe zu automatisieren.
Wie ändert sich der Alltag für die MTRs, wenn Untersuchungen und Workflows beschleunigt werden?
Für uns MTRs ist die Beschleunigung von Workflows ein zweischneidiges Schwert. Schnellere Arbeitsabläufe führen zu einem höheren Patientendurchsatz. Im Klartext: Die MTRs haben mehr zu tun und das Rad dreht sich immer schneller. Die Idee, dass KI mehr Zeit am Patienten ermöglicht, kommt in der Praxis nicht so richtig an. Die meisten MTRs haben den Beruf ergriffen, weil sie etwas mit Menschen und Technologie zu tun haben möchten. Nehmen wir mal an, dass diese Aufteilung aktuell bei 50/50 liegt, die MTRs also die Hälfte ihrer Arbeitszeit am Patienten verbringen und sich die zweite Hälfte mit Technologie beschäftigen.
Schauen wir jedoch genauer hin, beschäftigen sich MTRs mit repetitiven Tätigkeiten. Untersuchungen werden immer nach demselben Muster durchführt. Und für mich ist klar: in Zukunft wird KI diese repetitiven Tätigkeiten übernehmen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass 50 Prozent der Tätigkeiten von MTRs nicht von Künstlicher Intelligenz übernommen werden können. Summa summarum würde ich zusammenfassend sagen, Künstliche Intelligenz führt die MTR eher Richtung Mensch und weg von der Technologie.
Kann man dem entgegenwirken und KI stärker in den Ausbildungsplan aufnehmen?
Im Prinzip ja, auch bei der Ausbildung der Radiologen wird bereits gefordert, sich mit Künstlicher Intelligenz zu beschäftigen. In der momentanen Situation sehe ich das bei den MTRs eher als Utopie. Es gibt bereits jetzt zu wenige MTRs und vor allem zu wenige, die diesen Beruf ergreifen. Es fehlt einfach die Zeit, sich dann auch noch mit so einem komplexen Thema auseinanderzusetzen. Von den MTRs zu erwarten, dass sie die Funktionsweise von KI verstehen, denn um Technologie sinnvoll und richtig anzuwenden, sollte man sie ja doch verstanden haben, ist eine utopische Anforderung. Allerdings ist es zwingend erforderlich, dass Informationstechnologie, insbesondere KI in der MTR-Ausbildung integriert werden muss.
Auch wenn das jetzt etwas negativ klingt, sehe ich in der neuen Technologie riesengroßes Potenzial, die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen. Vielleicht wird sich der MTR-Beruf in zwei Bereiche teilen. Die Patienten betreuung und die Systembetreuung. Während die meisten sich wahrscheinlich in der Patientenbetreuung wiederfinden, wird sich ein geringer, technologieaffiner Teil unserer Kollegen mehr mit Technologie und Prozessautomatisierung beschäftigen.
An der Uniklinik in Essen sind schon einige KI-Algorithmen im Einsatz. Gibt es bestimmte Anforderungen, die die ausgewählten Lösungen erfüllen müssen?
Radiologische Zentren sind Hochdurchsatzunternehmen. Mit anderen Worten, die Radiologie hat schon immer davon profitiert, ihre Prozesse weitestgehend zu optimieren, fast zu industrialisieren. Wenn es darum geht, ein neues Softwarepaket zu implementieren, erwarten wir eine deutlich spürbare Verbesserung, ansonsten werden wir diese Lösung nicht einsetzen.
Bevor es überhaupt so weit kommt, dass wir uns mit neuen Systemen auseinandersetzen, muss gewährleistet sein, dass sämtliche Regularien hinsichtlich CE, MDR und DSGVO eingehalten werden.
Als Universitätsklinik sehen wir unsere Aufgabe ebenfalls in der wissenschaftlichen Bewertung neuer Technologien. Bevor etwas zur Anwendung kommt, wird es von uns evaluiert. Erfreulich ist, dass es in der Tat schon Lösungen gibt, die unseren Arbeitsalltag erleichtern und bei denen wir richtig happy sind, dass es sie gibt.
Insofern ist unsere Erwartung schnell formuliert: Es muss eine tatsächliche Entlastung her. Aufgrund der aktuellen Herausforderungen können sowohl Radiologen als auch MTRs, mit der aktuellen Manpower, die Menge an Untersuchungen nur unter schwierigen Bedingungen meistern.
Anton S. Quinsten ist MTR, hat Wirtschaftsinformatik studiert und macht seinen Master in Big Data und Business Analytics. Mithilfe des erlernten Informatik- Fachwissens möchte er Kolleginnen und Kollegen fortbilden und den Beruf der MTRs weiterentwickeln. Am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie des Uniklinikums Essen hat Quinsten mit RIT ein Pilotprojekt initiiert, das sich mit Radiologie- Informationstechnologie befasst. RIT richtet sich an MTRs, die sich für IT interessieren und für sich die Grundlagen schaffen, zukünftig kompetent mit Softwarelösungen in der Radiologie umzugehen, indem sie ihr Wissen rund um AI, Big Data, Deep Learning und Radiomics vertiefen. Außerdem ist Anton Quinsten Co-Autor des Buchs „Informationstechnologie und Künstliche Intelligenz in der Radiologie“ sowie stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Technolog:innen für Radiologie (DGMTR).
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Im internationalen Vergleich verfügen die radiologischen Abteilungen in Deutschland über die modernsten und innovativsten Geräte und Software. Dies gewährleistet eine qualitativ hochwertige Ausbildung der MTR. Headerbild (C) Adobe Stock