Am Vorabend des 105. Deutschen Röntgenkongresses RÖKO2024 in Wiesbaden sprach Mélisande Rouger mit den Tagungspräsidenten Prof. Johannes Wessling aus Deutschland und Prof. Thomas Helbich aus Österreich über die Kongress-Highlights und die Doppelveranstaltung zu unterschiedlichen Terminen.
Das Motto des Röko 2024 lautet ‚Radiologie im Wandel‘: Was genau meinen Sie damit?
Prof. Wessling: Wir leben in bewegten Zeiten: Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Chat GPT – um nur einige Beispiele zu nennen, faszinieren und fordern uns zugleich. KI darf zu Recht als die wohl treibende und disruptive Kraft dieser Zeitenwende betrachtet werden und das gilt insbesondere auch für die Radiologie.
Prof. Helbich: Mit dem Motto “Radiologie in Transformation” bringen wir zum Ausdruck, dass wir uns in einer Art Zeitenwende befinden und dass die Radiologie nicht vor, sondern mitten in einem Veränderungsprozess steht und bereits damit angefangen hat, diesen Prozess zu gestalten. Für den Kongress haben wir mit Information, Kommunikation und Präzision drei Wegmarken definiert, die den Weg hin zu einer neuen, nicht rein bildfokussierten Radiologie markieren.
Was werden die Höhepunkte des diesjährigen Kongresses sein?
Prof. Wessling: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dürfen sich über eine ganze Reihe spannender und hochkarätig besetzter Veranstaltungen freuen. Als Beispiel sei die Eröffnungsveranstaltung genannt, auf der mit Prof. Josef Hecken einer der einflussreichsten Köpfe im deutschen Gesundheitssystem zu uns sprechen wird. Als unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ist Prof. Josef Hecken das öffentliche Gesicht des vielleicht mächtigsten Gremiums im deutschen Gesundheitssystems. Man darf gespannt sein, was er zur Transformation des Gesundheitswesens zu sagen hat.
Prof. Helbich: Die Röntgen-Vorlesung zählt zu den absoluten Highlights. Prof. Reinhard Heckel ist Professor für Maschinelles Lernen am Department of Computer Engineering an der TU München. In seinem Vortrag wird er die faszinierende neue Generation von KI-basierten Bildgebung und die vielfältigen Möglichkeiten und Herausforderungen die sie der modernen Medizin eröffnet, vorstellen und diskutieren. Nicht zu vergessen sind die zahlreichen Highlight-Lectures aus den diversen Bereichen der Radiologie wie: Karzinom Screening neu gedacht, Molekulare Bildgebung: Vom Labor zum Krankenbett, Brust-Bildgebung in 2040, Entwicklungen bei Kontrastmittel und Tracern und vieles mehr.
Was gibt es dieses Jahr Neues auf dem Kongress?
Prof. Wessling: Der Deutsche Röntgenkongress setzt unter anderem verstärkt auf Edutainment-Formate. So haben wir mit “Jeopardy reversed” die bekannte Quizshow in die Welt der Radiologie übersetzt und wollen radiologische Fortbildung mit Unterhaltungselementen verbinden. Und nicht zu vergessen: Die Teams spielen um Geld, dass der Röntgen-Schule in Berlin für ihre zahlreichen Projekte rund um ihren Namensgeber zugute kommen soll.
Prof. Helbich: Neu sind auch unsere Industrierundgänge. Teilnehmende des Kongresses erhalten die Gelegenheit, sich in geführten Rundgängen aktiv in der Gruppe unter wissenschaftlicher Expertise mit aktuellen Firmenangeboten auseinanderzusetzen. Wir bieten erstmalig Themenrundgänge in den Bereichen künstliche Intelligenz, Onkologie und Interventionen an.
Ihr Format findet sowohl online als auch vor Ort statt. Weshalb gibt es zusätzlich die digitale Version?
Prof. Wessling: Eigentlich war die digitale Ausgabe des Röntgenkongresses nur als Übergangslösung gedacht, um auch in der Corona-Pandemie radiologische Fortbildung anbieten zu können. Die Begeisterung war allerdings so groß und die Nachfrage geradezu überwältigend, dass die DRG beschlossen hat, das Beste aus zwei Welten zusammenzubringen: sowohl digitale Fortbildungsangebote als auch den ganz realen Austausch im Rahmen einer Präsenzveranstaltung. So bietet RÖKO DIGITAL vom 1. März 2024 bis zum 22. Juni 2024 radiologische Fortbildung in ihrer gesamten Vielfalt. In Ergänzung hierzu setzt RÖKO WIESBADEN auf „hot topics“ entlang des Kongressmottos, die hier vertieft werden. Außerdem haben wir hier natürlich die Möglichkeit, mehr interaktive Veranstaltungen und Dialog-Formate zu hochaktuellen Themen anzubieten. Schlussendlich lebt ein Kongress immer auch vom persönlichen Austausch, den wir mit dem Präsenzkongress ermöglichen
Warum gibt es zwei Präsidenten aus zwei verschiedenen Ländern für ein Treffen in Deutschland?
Prof. Helbich: Die österreichische und die deutsche Röntgengesellschaft verbindet eine Freundschaft, die viele Jahre zurückreicht. So kam bereits 1973 die Idee auf, einen gemeinsamen Kongress zu veranstalten. Und da das wunderbar funktioniert hat, hat man daran festgehalten und versucht, in der Regel alle drei Jahre diese Tradition fortzusetzen.
Die österreichischen Radiologen haben großartige Möglichkeiten, ihr Wissen auf den neuesten Stand zu bringen: den ECR in Wien, ihre eigene nationale Tagung in Österreich und den Röko. Was raten Sie Ihren europäischen Kollegen? Sollten sie auch nach Fortbildungsmöglichkeiten außerhalb ihres eigenen Landes suchen?
Prof. Helbich: Der ECR ist eine unglaubliche Erfolgsgeschichte und wir, die österreichischen RadiologeInnen sind geehrt, dass wir zu dieser Erfolgsgeschichte beitragen dürfen. Dies bedeutet aber nicht, dass wir, und damit meine ich auch meine europäischen KollegenInnen, uns nur auf den ECR fokussieren sollten. Das globale Wissen ist so weitreichend, dass ich die aktive Teilnahme an internationalen Kongressen und Fortbildungen nur unterstützen kann. Dazu gehört auch der RÖKO in Deutschland.
Wie viele Teilnehmer erwarten Sie in diesem Jahr und wie viele werden Ihrer Meinung nach aus Österreich kommen?
Prof. Wessling: Wir erwarten ähnlich hohe Teilnehmendenzahlen wie 2023, die sich zu fast gleichen Teilen aus dem digitalen und dem Präsenzteil zusammensetzen. Wie die Zusammensetzung der Teilnehmenden im Einzelnen aussieht, werden wir nach dem Kongress wissen. Zahlreiche Referentinnen und Referenten kommen in jedem Fall auch aus Österreich.
Warum ist der Einsatz von KI in Deutschland noch nicht so weit verbreitet? Was sind die derzeitigen Engpässe für den Einsatz der Technologie? Wie sieht es in Österreich aus?
Prof. Wessling: Auch wenn KI eine disruptive Kraft entfaltet, ist bei ihrer Umsetzung und Implementierung im klinischen Alltag eher von einem evolutionären Prozess auszugehen. Dieser nimmt aus radiologischer Perspektive seinen Anfang im Bereich der Bilderzeugung – Stichwort Reduktion der Strahlendosis, schnelle MRT-Sequenzen – und wird zunehmend den diagnostischen Bereich dort ergänzen, wo sie uns von redundanten, fehleranfälligen und zeitraubenden Tätigkeiten entlasten kann. Diese Entwicklungen sind im vollen Gange. Probleme entstehen, wenn aus der Vielzahl der heute angebotenen Anwendungen, passende Produkte ausgewählt und im klinische Alltag implementiert und natürlich finanziert werden müssen. Viele KI-Produkte erfüllen nur Einzelaufgaben, z.B. Rundherderkennung in der Lunge. Bei ihrer Implementierung vor Ort sind deshalb unweigerlich die Kosten gegenüber den Einzelnutzen abzuwägen. Diese können sich bei einem KI-Portfolio von mehreren Anwendungen schnell aufsummieren. Wir brauchen also verstärkt neue und flexible Plattformlösungen und “marketplaces”, die es uns möglich machen, KI-Anwendungen im direkten Vergleich ausprobieren zu können, oder aber “pay per use” an unseren tatsächlichen Bedarf adaptieren zu können. Mit den technischen KI-Entwicklungen müssen also gleichzeitig die digitale, rechtliche und ökonomische Infrastruktur weiterentwickelt werden, um Ihrer Verbreitung und Akzeptanz im deutschen Gesundheitswesen zu erhöhen.
Prof. Helbich: Die Situation in Österreich ist mit Deutschland vergleichbar. Viele von uns vergessen, dass AI schon im täglichen Leben angekommen ist. Denken sie nur an ihr “Handy” (cellular pone). Ähnlich ist die Situation in manchen Bereichen der Radiologie. AI wird kommen und so erwarten wir in den nächsten Monaten die erste FDA-Zulassung für ein KI-basiertes Befundportal im Brustkrebsscreening. Wir erwarten uns dadurch eine 40-prozentige “Workload-Reduktion” Bei der Implementierung stellen konservative Sichtweisen der IT-Verantwortlichen im Spitalsbreich den größten Flaschenhals dar. Der private Bereich ist da viel flexibler.
Der Personalmangel wird überall auf der Welt immer akuter. Wie sieht es diesbezüglich in Deutschland und Österreich aus?
Prof. Helbich und Prof. Wessling: Anhaltende Personalverknappung und -verteuerung, verstärkt durch den Ruhestand der „baby boomer“ und die New-Work-Arbeitseinstellung der neuen Generationen setzten auch in Deutschland und Österreich den Rahmen.
Im ärztlichen Bereich haben wir aktuell zum Glück noch keine ernsthaften Probleme. Die Radiologie ist als sehr innovatives Fach sehr nachgefragt, was die jährlich steigenden Facharztanerkennungen belegen.
Bei den Radiographers sieht die Situation hingegen deutlich dramatischer aus. Hier fehlt uns an vielen Stellen Personal, weshalb es sich die DRG zusammen mit der DGMTR zur Aufgabe gemacht hat, diesen spannenden und vielseitigen Beruf öffentlich sichtbarer zu machen, um mehr junge Menschen hierfür zu interessieren. Ähnliche Aktionen gibt es in Österreich.
Unabhängig davon: Aspekte des “new work”, Chancen der Digitalisierung mit remote und home office gerade in der Radiologie müssen hierbei konsequent mitgedacht und genützt werden.
Zahlreiche Radiologiepraxen (30 %) in Deutschland sind in der Hand von Investoren. Ist dies ein Grund zur Sorge oder zur Freude für Radiologen? Glauben Sie, dass dieser Anteil in Zukunft zunehmen wird? Ist die Situation in Österreich dieselbe oder eine andere?
Prof. Wessling: Wir erleben eine fortschreitende Praxiskonsolidierung und Zunahme des Einflusses investorengeführter MVZ, die heute 1/3 des Marktes beherrschen. Diese werden sich nach Phasen des Zukaufs und der Restrukturierung und losgelöst von reinem Renditestreben aber zunehmend als starke Leistungserbringer formieren müssen. Ich glaube, dass sich niedergelassene Radiologen je nach Motivation – z.B. Teilzeit, angestellt, Ich-AG – und Praxissituation zunehmend in verschiedenen Betriebsformen wiederfinden werden. Ganz unabhängig von der Betriebsform – der gegenwärtige Wettbewerbs- und Kostendruck und die Möglichkeiten von KI werden das unmittelbare Arbeitsfeld der RadiologIn gleichsam verändern und ganz im Patientensinne volldigitale Workflows von der QR-Zuweisung bis hin zu KI-optimierten Untersuchungen und KI unterstützen Befundungen ermöglichen.
Prof. Helbich: Investorengeführte MVZ wie in Deutschland sind mir in Österreich nicht bekannt. Glücklicherweise sind in Österreich viele Praxen im Besitz von Familien bzw. im Besitz von mehreren teilhabenden Radiolog:innen.