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Eine wichtige Session während der Veranstaltung „Update RSNA – onkologische Bildgebung und Interventionen“ in Köln war eine Oxford-Debatte, bei der zwei Teilnehmer entweder die Pro- oder Contra-Position zum Einsatz von KI in der Radiologie einzunehmen hatten. Moderiert von Prof. Clemens Cyran, Klinik und Poliklinik für Radiologie, LMU Klinikum Ludwig-Maximilians-Universität München präsentieren zwei Teams ihre Argumente und werben um die Gunst und Zustimmung der Zuhörenden.

Die Debatte beschäftigt sich mit drei Thesen: Die erste postuliert, dass in fünf Jahren die zehn wichtigsten Diagnose dank KI rein bildbasiert erstellbar sind. These zwei sagt für denselben Zeitraum voraus, dass KI es ermöglicht, mit einer geringeren Anzahl von MRT-Anlagen die Untersuchungszahlen mindestens zu verdoppeln. Die letzte These stellt zur Diskussion, dass Dank KI in fünf Jahren nur die Hälfte der Radiologen zur Bewältigung der diagnostischen Arbeitslast benötigt werden.

Teilnehmer der Oxford-Debatte: Prof. Daniel Truhn, PD Dr. Daniel Pinto dos Santos, Prof. Clemens Cyran, PD Dr. Johannes Haubold, Prof. Mike Notohamiprodjo

Als Vertreter der Pro-Seite fungieren PD Dr. Johannes Haubold, Uniklinik Essen, und Prof. Mike Notohamiprodjo, DIE RADIOLOGIE, München. In seinem Redebeitrag betont Haubold, dass bereits heute KI in der Radiologie erfolgreich eingesetzt wird und für die Ermittlung der zehn häufigsten Diagnosen herangezogen werden kann. „Mittlerweile sind mehr als 550 verschiedene KI-Algorithmen in der Medizin als Medizinprodukt zertifiziert und für die klinische Routine verfügbar, die meisten davon in der Radiologie.“ 

Er verweist auf seine Tätigkeit an der Uniklinik Essen, wo smarte Algorithmen sowohl bei der Vermessung etwa einer Skoliose bis hin zum Erkennen von seltenen Erkrankungen helfen. „Wir werden quantitativ wichtige Informationen immer mehr an Biomarkern aus den Bilddaten ablesen können“, lautet seine Voraussage. So werden beispielsweise bereits KI-gestützten Body Composition-Analysen durchgeführt, bei der die Segmentierung voll automatisiert in 3 D abläuft und die Muskulatur sowie das Fettgewebe in verschiedenen Kompartimenten darstellbar sind. Solche Systeme erlauben dann in der klinischen Routine zum Beispiel die Einteilung von Risikogruppen. 

Signifikante Produktivitätssteigerung Dank KI

Hinsichtlich einer möglichen Effizienzsteigerung in der radiologischen Arbeit und der damit verbundenen geringeren Anzahl benötigter Radiologen verweist Haubold ebenfalls auf die Universitätsklinik Essen. Dort hat man in der Radiologie seit dem Jahr 2018 einen beständig wachsenden Workload bei gleichzeitiger Produktivitätssteigerung um knapp einhundert Prozent erfahren. Haubold ist sich sicher: „KI hat dabei eine sehr große Rolle gespielt.“

Sein Kollege Notohamiprodjo spricht sich klar für KI aus, weil diese eine immer schnellere und präzisere Bildakquisition ermöglicht. Ohne den Einsatz von KI wird man den steigenden Anforderungen in der Radiologie nicht gerecht werden können, so Notohamiprodjo. Dabei sei die KI in jedem Teil der Wertschöpfungskette bereits angekommen. „Der Workflow umfasst alles: von der Terminierung über die Geräteauslastung und die Protokollierung bis hin zur klassischen Bildanalyse. Hinzu kommt die Extraktion der Daten und deren Analyse. Die Value-chain ist fast unendlich – und da haben wir bisher nicht mal über KI basierte Therapieempfehlungen gesprochen.“  Mit der wachsenden Bedeutung der personalisierten Medizin wird auch die Bedeutung diagnostischer Daten exponentiell zunehmen. Für deren Auswertung ist die Technologie eine zwingende Voraussetzung und dass diese zu mehr Effizienz und besseren Ergebnissen führt, sei unbestritten, findet Notohamiprodjo.

Macht KI Mediziner wirklich besser?

Trotz vieler Vorteile hat die KI-Nutzung auch negative Seiten. Diese beleuchtet Prof. Daniel Truhn, Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Uniklinik RWTH Aachen, mit einigen Gegenargumenten. Er verweist auf die Gefahren von KI, etwa dass diese keineswegs absolut sicher ist, wie eine kürzlich veröffentlichte Studie bewiesen hat. Dabei hatten Forscher ChatGPT durch die unendliche Wiederholung eines Worts dazu gebracht, Trainingsdaten herauszugeben. Zudem ist KI nachweislich nicht frei von Bias. Basierend auf den Trainingsdaten, die auch immer die reale – und damit von Vorurteilen geprägte – Welt widerspiegeln, kann die KI zu einer schlechteren Behandlung und Diagnose bei bestimmten Patienten zur Folge haben. „Führt KI wirklich zu besseren Diagnosen? Manchmal ja, manchmal nein. Wenn wir das aber nicht erkennen, ist das in der Summe gefährlicher als ohne KI zu arbeiten“, so Truhns Mahnung. Auch die mögliche Reduzierung von Arbeitskräften aufgrund von KI kann sich seinem Dafürhalten nach als ungünstig herausstellen. Vor allem, wenn noch unausgereifte Systeme aus Kostengründen die Arbeit übernehmen, sei ein negativer Backlash nicht auszuschließen. 

Auf ein weiteres Problem weist Privatdozent Dr. Daniel Pinto dos Santos hin und zieht eine Parallele zum Fliegen. Hier hatten sich Piloten in der Vergangenheit zu sehr auf die Technik verlassen. Als diese ausfiel, konnten sie das Flugzeug nicht mehr landen. Dieses sogenannte Automation Bias könnte in der Medizin fatale Folgen haben.  „Wir Ärzte müssen dafür sorgen, dass die KI macht, was sie soll“, folgert Pinto dos Santos. Ob Ärzte diese Verantwortung übernehmen wollen, bleibt abzuwarten. 

Dr. Pinto dos Santos gibt darüber hinaus zu bedenken, dass Ärzte nicht damit rechnen sollten, dass die KI dabei hilft, die Arbeitslast zu reduzieren. Vielmehr sei davon auszugehen, dass sie genutzt wird, um schneller mehr Patienten zu behandeln uns so den Arbeitsdruck zu erhöhen. „Wir gehören jetzt schon zu den Berufen mit den höchsten Burnout-Zahlen. Selbst wenn alles, was die Vorredner sagen, möglich wird, müssen wir überlegen, ob wir das auch wollen.“

Schlussendlich – und darin sind sich die Redner einig – gilt es, die Entwicklungen aufmerksame mitzuverfolgen und diese aktiv mitzugestalten. „Es bleibt die Frage, ob die KI das Gute, Wahre, Schöne in die Medizin bringt oder ob wir uns damit ein Stück von dem Menschlichen in der Medizin wegbewegen. Das ist eine philosophische Frage. Am Ende müssen wir uns aber damit beschäftigen, ob die KI-Medizin dem Wohle der Patienten dient und uns als Ärzte besser macht. Außerdem lohnt sich die Beschäftigung mit der Überlegung, wie wir als Radiologen die Entwicklungen im Geiste des Humanismus und des ärztlichen Handelns begleiten können“, fasste der Moderator Prof. Clemens Cyran zusammen. Sicher ist, dass Ärzte nicht als Zuschauer am Spielfeldrand, sonders als aktiv Mitgestaltende in das Geschehen eingreifen sollten. Dazu braucht es Kompetenz, Ideen und Gestaltungswillen.