Zur 75. Jahrestagung und MTR-Tagung der Bayerischen Röntgengesellschaft (BRG) werden sich vom 10.–12. Oktober 2024 in Nürnberg ca. 500 Experten aus den Fachbereichen Radiologie und Strahlentherapie treffen, um neue Erkenntnisse auszutauschen. Im folgenden Gespräch verrät der diesjährige Gastgeber und wissenschaftliche Leiter Prof. Dr. Michael Lell, Direktor des Instituts für Radiologie, Neuroradiologie und Nuklearmedizin am Klinikum Nürnberg, unter anderem wo Patient:innen konkret durch radiologische Diagnostik profitieren und erklärt, warum er keine Angst vor KI hat.
Herr Professor Lell, ein Schwerpunkt der diesjährigen Tagung ist die muskuloskelettale Radiologie (MSK). Der Titel eines Symposiums dazu lautet „MSK – Wissen worauf es ankommt“. Worauf kommt es denn an?
Unser oberstes Ziel als Radiologen muss es sein die therapeutisch relevanten Fragen zu beantworten, also diejenigen, die darüber entscheiden, ob und wie ein Patient behandelt wird. Das gilt nicht nur für MSK, sondern für alle Bereiche der Radiologie. Wir kennen diese Fragen recht gut aus den Tumorboards und OP-Besprechungen, aber wenn Zuweiser und Radiologe sich nicht regelmäßig treffen, dann besteht schon die Gefahr aneinander vorbeizureden.
Herzerkrankungen sind immer noch Todesursache Nummer 1 – und sicher nicht zuletzt deshalb ebenfalls ein Programmschwerpunkt. Welche Rolle spielt die Herzbildgebung bzw. die Arbeit des Radiologen bei der Diagnostik und Therapie von Herzerkrankungen? Und was gibt es Neues hierzu?
Diagnostik und Therapie von Herzerkrankungen waren lange Zeit Monopol der Kardiologie – vom EKG über das Echo bis hin zum Herzkatheter, um nur ein paar Untersuchungsverfahren zu nennen. Herz-CT und -MRT haben aber ihre spezifischen Vorzüge und damit kam die Radiologie wieder mit ins Spiel. Ausschluss KHK, Myocarditis / Pericarditis nach Infektionserkrankungen oder die Ischämiediagnostik, das sind nur einige Beispiele, wo wir wichtige, therapierelevante Antworten liefern können. Die Geräteentwicklung sowohl bei CT als auch MRT ist so weit fortgeschritten, dass nicht mehr nur High-End-Geräte die entsprechenden Daten liefern können, sondern auch viele von denen, die in der Breite verfügbar sind. Das Wissen über das Herz, das in den vergangenen Jahrzehnten in der Radiologie vielleicht nicht ganz so im Fokus stand, benötigt ein Update. Die Medizin ist immer komplexer geworden und diesen Ansprüchen müssen wir uns stellen. Besonders wichtig ist der interdisziplinäre Austausch mit den zuweisenden Kollegen. Radiologie „in der Box“ funktioniert nicht!
Wie bewerten Sie, dass „das Herz-CT in der Breite angekommen“ ist, wie ein Vortragstitel feststellt?
Das Herz-CT ist jetzt Kassenleistung und damit endgültig raus aus der Spielecke der Freaks, sondern in der Mitte angekommen und damit eine täglich angeforderte Leistung. So wie beispielsweise die Pulmonalis-CTA zum Ausschluss einer Lungenembolie. In den aktuellen Leitlinien sind Herz-CT und Herz-MRT fest verankert und ihr Nutzen ist vielfach und hinreichend belegt. Wichtig ist, die hohe Expertise, die in den Zentren vorhanden ist, in die Breite zu bringen. Dafür bieten wir auf dem diesjährigen Bayerischen Röntgenkongress sowohl Ärztinnen und Ärzten als auch MTR die Gelegenheit von den Profis zu lernen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Die Deutsche Röntgengesellschaft hat es geschafft durch Kurse, Fallsammlungen und ein eigenes Zertifizierungsverfahren bereits eine große Zahl von Radiologen in der Herzbildgebung zu qualifizieren.
`Männer sind anders – und Frauen auch´, wusste einst schon Loriot. Was können die Kongressteilnehmer lernen in den wissenschaftlichen Sitzungen „Das weibliche Becken“ und „Das männliche Becken“?
Vergleichbar zur Herzbildgebung ist mit der mpMRT der Prostata ein bis dahin (radiologisch) weitgehend vernachlässigtes Organ in den Fokus des Interesses getreten. Die sichere Beurteilung der Prostata kann den betroffenen Männern unnötige Biopsien ersparen und die Treffsicherheit bei der Biopsie durch Fusion der MR-Daten mit dem Ultraschall verbessern. Damit ist die MRT zu einem wichtigen, ebenfalls in der aktuellen Leitlinie etablierten Verfahren bei Patienten mit Verdacht auf Prostatakarzinom geworden. Diesen Durchbruch hat die MRT im weiblichen Becken bisher nicht geschafft, hier spielt der Ultraschall die zentrale Rolle. Aber wie immer ist es so, dass die Fälle, die dann zur MRT überwiesen werden, besonders knifflig sind.
In immer mehr Bereichen kommt interventionelle Radiologie zum Einsatz, richtig? Damit ist die Radiologie quasi im operativen Bereich angekommen. Welche Vorteile bietet das für Patientinnen und Patienten?
Der klare Vorteil für die Patientinnen und Patienten ist der minimal-invasive Ansatz der interventionellen Radiologie. Obwohl es große Eingriffe mit weitreichenden Folgen sind – denken Sie zum Beispiel an die Wiedereröffnung von Gefäßen, die endovaskuläre Versorgung von Aneurysmen, oder die perkutane Tumorablation – ist der Zugangsweg ganz klein, die Patienten haben kaum oder keine postinterventionellen Beschwerden und sind schnell wieder auf den Beinen. Die Erfolgsraten sind in manchen Fällen sogar besser als mit chirurgischen Verfahren und die Hospitalisationsphase viel kürzer. Im Zuge der zunehmenden Ambulantisierung der Medizin ist dies ein enormer Vorteil.
In einem weiteren Themenbereich des Kongresses sollen insbesondere junge Kolleginnen und Kollegen „Fit für den Nachtdienst“ gemacht werden. Ist genug radiologischer Nachwuchs da? Und welche Tipps haben Sie für die nachfolgende Generation?
Zuviel Nachwuchs gibt es derzeit in kaum einer Berufssparte, so auch nicht in der Radiologie. Die Pessimisten prophezeien, dass die KI den Radiologen überflüssig macht. Ich bin vom Gegenteil überzeugt. Wir Radiologen beschäftigen uns intensiv mit KI – beim kommenden Lungenkrebs-Screening wird sie fester Bestandteil der Befundung werden – und deshalb werden wir davon massiv profitieren. Das ungeliebte Umkringeln des Myokards bei der Herz-MRT für die Funktionsanalyse macht jetzt die Software automatisch, genauso wie z.B. die Organsegmentierung und Volumetrie. Somit wird die Arbeit des Radiologen von vielen lästigen Dingen befreit und er hat mehr Zeit sich der Diagnose und dem Patienten zu widmen. Im Highlight-Vortrag wird Prof. Forsting seine Einschätzung dazu teilen. Der wichtigste Tipp für den Nachwuchs: Nicht abschrecken lassen, die Radiologie ist das attraktivste und innovativste Fach!
Die Bandbreite des BRG-Tagungsprogrammes ist enorm: von (Alp-)Traumaversorgung bis aktuelle Trends in der Mammadiagnostik sind viele spannende Themen dabei. Welche Bereiche sind aus Ihrer Sicht gerade hot topics, die jeder Radiologe auf dem Schirm haben sollte, und warum?
Nun ja, Verkehrsunfälle sehen wir ja leider alle genug, die Besonderheiten der Freizeitunfälle in den Bergen und auch die besonderen Schwierigkeiten in der Rettungskette waren es, die das Interesse bei der Erstellung des MTR-Programms geweckt hatten. Die Radiologie ist trotz aller notwendigen Spezialisierung ein Querschnittsfach. Im kompakten Format die wichtigsten Infos von ausgewiesenen Experten zu vermitteln ist unser Anspruch an das Programm.