Dr. med. Marc Kämmerer ist Facharzt für Radiologie und Leiter des Innovationsmanagements bei VISUS. Er engagiert sich bei IHE für die Kompatibilität von IT-Systemen und ist Gründer der IHE Europe Task Force AIGI – AI Interest Group for Imaging. Im Gespräch mit Guido Gebhardt erläutert er auf dem Plugathon in Triest die bisherigen Aktivitäten der AIGI und weshalb standardisierte Schnittstellen für den Datenaustausch besonders wichtig sind.
Wer oder was ist IHE?
IHE (Integrating the Healthcare Enterprise) ist eine Initiative von Herstellern und Anwendern medizintechnischer Systeme im Gesundheitswesen mit dem Ziel, die Kommunikation zwischen IT-Systemen und Medizingeräten zu verbessern. Unter der Nutzung internationaler Standards wie DICOM und HL7 definiert IHE Integrationsprofile mit dem Ziel, Prozesse innerhalb eines Krankenhauses, einer Praxis oder auch zwischen den Gesundheitseinrichtungen zu verbessern. Die erarbeiteten Integrationsprofile dienen als eine Art Implementierungsleitfaden für die Hersteller von Medizinsoftware, damit es möglich wird, praxisrelevante Prozesse herstellerübergreifend über alle beteiligten EDV-Systeme abbilden zu können.

Vom 2. bis 7. Juni 2024 fanden während der Connectathon Week neben den Experience Days und anderen europäischen Veranstaltungen ebenfalls die HL7-/, FHIR, AI Plugathons statt.
Wie muss man sich das mit den Integrationsprofilen vorstellen?
Grundsätzlich regeln IHE-Integrationsprofile wie die verschiedenen Standards bezogen auf einen Anwendungsfall ineinandergreifend genutzt werden können. Nimmt man die Befundunterstützung von KI als Beispiel. Seit über 20 Jahren existierenden CAD-Systeme, die wir insbesondere aus der Mammographie und aus der Lungendiagnostik kennen. Hierfür existieren schon lange Inhaltsvorlagen, welche in Form von DICOM SR Objekten kommuniziert werden können.
Da auch die heutigen Radiologie-KI-Systeme ähnliche bis identische Ergebnisinformationen liefern, können diese bereits vor langer Zeit definierten Objekte verwendet werden. Jedoch fehlen teilweise noch Angaben, um auch die Ergebnisse moderner KI-Lösungen automatisiert in radiologischen Arbeitsabläufen nutzen zu können. Wichtig ist dabei vor allem, dass die verbindliche Nutzung von zu den Ergebnissen passender Codes zur eindeutigen Beschreibung der Dateninhalte eingeführt wird.
Diese Strukturierung ist essenziell für eine optimale automatisierte Datenverarbeitung zum Beispiel zur Priorisierung einer Befundungsarbeitsliste basierend auf dem Ergebnis einer KI Analyse.
Ein Beispiel: In einem Word-Dokument stehen Buchstaben, die Text ergeben. Diesen kann ich als Mensch verstehen, weil ich die Semantik dahinter verstehe, sofern ich die Sprache beherrsche. Ein Computerprogramm kann dies nicht. Das bedeutet, für eine Software müssen die Informationen zunächst semantisch, Maschinen verarbeitbar beschrieben werden. Das nennen wir Strukturierung und erfolgt durch die Verwendung von Codes aus Ontologien wie Snomed CT, Radlex oder ICD. Die Qualität und Granularität der Datenstrukturierung bestimmt maßgeblich wie gut ein Arbeitsablauf durch eine KI unterstützt werden kann. IHE-Profile tragen dazu bei, dass die jeweils für einen Prozessschritt erforderlichen strukturierten Informationen auch verfügbar sind und damit die gewünschten Aktionen auszulösen.

Dr. med. Marc Kämmerer, Facharzt für Radiologie und Leiter Innovationsmanagement bei VISUS.
Können KI-basierte Arbeitsabläufe bereits anhand von IHE-Profilen unterstützt werden?
Um diesen neuen, erweiterten Arbeitsabläufen Sorge zu tragen, hat die IHE bereits zwei Profile entwickelt: AIR (AI Results) und AI Workflow for Imaging (AIW-I).
AI Results legt fest, wie die Ergebnisse medizinischer Bildgebungsanalysen zuverlässig gespeichert, abgerufen und angezeigt werden. Der zentrale Anwendungsfall betrifft Ergebnisse, die von Algorithmen der künstlichen Intelligenz (KI-Modell) erzeugt werden.
Das IHE AI Workflow for Imaging Profil befasst sich mit Anwendungsfällen für die Anforderung, Verwaltung, Durchführung und den Einfluss von KI auf digitale Bilddaten.
Beide Profile sind komplex und zurzeit im Status Trial-Implementierung. Zusätzlich gibt es weitere Profile wie Priorization of Reading Worklists (POWR), Integrated Reporting Applications (IRA), Interactive Multimedia Report (IRA) und nicht zuletzt Unified Worklist and Procedere Step (UPS). Alle diese Profile zahlen zusätzlich auf Workflows ein, die die effektive Nutzung von KI-Profilen verbessern können.
Genau hier beginnen die Herausforderungen. Die Fülle möglicher Lösungsansätze gepaart mit der Profilkomplexität stellen echte Hindernisse für die Hersteller dar. Häufig kommen sie aus der Start-up Szene und kennen IHE wenig oder gar nicht.
Dies war für mich einer der Hauptgründe AIGI zu gründen, die AI Interest Group for Imaging. Interoperabilität kann nur funktionieren, wenn alle Prozessteilnehmer die Standards unterstützen.
Wo liegen die Knackpunkte?
In der Ermangelung der Kenntnis um IHE oder aus den bestehenden Defiziten hinsichtlich fehlender Standards haben die KI-Hersteller eigene Lösungswege geschaffen, beispielsweise für die Kommunikation Statusinformationen hinsichtlich des Prozessierungsstands oder der Weitergabe von Ergebnissen an andere Systeme. Auf diese Weise ist bereits heute schon ein buntes Sammelsurium an Lösungswegen entstanden. Unglücklicherweise skalieren solche Ansätze in der realen Welt nicht. Dies ist jedoch erforderlich: Denken wir nur an Integrierte Diagnostik beziehungsweise personalisierte Medizin. Als Arzt brauche eine Vielzahl an Informationen, um für Patienten individuelle Therapien erstellen zu können.
Auch wenn die Radiologie nur einen kleinen Teil im Patientenbehandlungskontext abbildet, ist sie im Gesamtkontext der Behandlung besonders wichtig. Die Radiologie entwickelt sich bereits heute zunehmend von einem Bildgebungszentrum hin zu einem Behandlungsentscheidungs- und Vorhersagezentrum. Biomarker, insbesondere solche, die nichtinvasiv erhoben werden können, spielen eine wichtige Rolle in einer modernen, patientenzentrierten Medizin.
Hierfür müssen möglichst viele Informationen aus der Patientenakte wie Laborwerte oder Anamnesedaten, Untersuchungsergebnisse als auch Untersuchungsbilder zum Beispiel aus der Radiologie gemeinsam ausgewertet werden.
Wir dürfen uns also nicht nur auf die Radiologie konzentrieren, sondern sollten die gesamte Fülle aller Informationen aus dem Behandlungskontext berücksichtigen. Und genau da ist auch aus meiner Sicht heute der Knackpunkt.
Wir verfügen zwar über KI-Systeme, die Bilddaten analysieren und deren Ergebnisse diagnostisch hilfreich sind. Der Output könnte jedoch bereits heute sehr viel besser sein, wenn wir für das Training der Algorithmen, als auch für die Anwendung bei der Patientenbehandlung auf eine breitere, fächerübergreifende Basis strukturierter Informationen zugreifen könnten. Damit bestünde die Chance auf qualitativ bessere und quantitativ größere Trainingsdatensätze mit entsprechend besseren Ergebnissen. Um das volle Potenzial nutzen zu können, ist die Datenstrukturierung nur ein Teilschritt. Zusätzlich müssen die KI-Systeme in die bestehenden Arbeitsplätze integriert werden. Kein klinischer Anwender möchte oder kann zehn und mehr verschiedene EDV-Systeme dauerhaft an seinem Arbeitsplatz parallel nutzen, wenn seine primäre Aufgabe die Patientenbehandlung ist. Aufgrund der Vielzahl der zu erwartenden Systeme ist dies ohne Standardschnittstellen für Hersteller und Betreiber solcher Arbeitsplätze nicht handhabbar.
Dies zeigt, dass der Zusammenschluss von Systemen auf der Basis proprietäre Schnittstellen und unzureichend strukturierter Daten in eine Sackgasse führt.
Gibt es denn schon Erfahrungen mit der Integration der beiden neuen IHE-Profile?
Leider sind die Profile in der Praxis bisher nur verhalten angenommen worden. Das ist auch der Grund, weswegen die AIGI-Gruppe parallel zum IHE Connectathon den sogenannten Plugathon AI Track initiiert hat. Dieser Plugathon sollte die gesamte Kette, von der Übergabe radiologischer Bildstudien an die KI-Lösungen bis hin zur Übernahme der Ergebnisse in einen radiologischen Befundbericht und die Verteilung des fertigen Berichts, abbilden. Dabei lag der Fokus mehr auf einem funktionellen Ergebnis, als auf der reinen Umsetzung bestehender Integrationsprofile.
Das heißt, dann ging es auf dem Plugathon nicht in erster Linie um neue Integrationsprofile?
Ja und nein. Anhand des Anwendungsfalls der Erstellung eines radiologischen Befundberichts sollte für die Körperregionen Schädel und Thorax die Übergabe der jeweils für einen Prozessschritt erforderlichen Informationen an die beteiligten Systeme real gezeigt werden. Existierende Transaktionen der zuvor benannten IHE-Profile sollten dabei zur Anwendung kommen, sofern sie geeignet erschienen.
In den ersten beiden Tagen wurden während des Verbindens der Systeme von neun Herstellern, Probleme, bisher nicht zufriedenstellend oder gar nicht gelöster Anforderungen offenkundig. Mit dem Ergebnis, dass wir mindestens zwei Anwendungsfälle für neue Profile samt den dazugehörigen Anforderungen herausarbeiten konnten:
1. Den sogenannten Validation Workflow. Hierbei geht es um die Möglichkeit, die Ergebnisse einer durch die Anwender durchgeführten Bewertung einzelner KI-Ergebnisse interoperabel zwischen Systemen austauschen zu können. Ein dafür rechtlich erforderlicher Anwendungsfall ist die sogenannte Post-Market Surveillance, wie sie durch den EU AI-Act gefordert wird.
2. Mit steigender Anzahl der zu nutzenden KI-Lösungen wird ein Service Discovery erforderlich. Dieser kann Systemen wie einem PACS automatisiert mitteilen, welche Anforderungen eine KI-Lösung an auszuwertende Bilder stellt, um sie analysieren zu können. Ohne einen solchen Dienst besteht die Gefahr, dass die erforderlichen Konfigurationen der bildversendenden Systeme in ein exponentielles Mengenproblem hineinlaufen.
Hinsichtlich der Übergabe von KI-Ergebnissen aus einem Bildbetrachter heraus an ein Befunderfassungssystem sind wir ebenfalls ein riesiges Stück vorangekommen. Die Gruppe hat das Grundgerüst für eine Datenstruktur geliefert, die als FHIR-Ressource ausdefiniert werden soll. Über die Integration in neue oder bestehende IHE-Profile wird sich die AIGI Task Force im Nachgang an den Plugathon kümmern.
Der Plugathon zeigt: In der Standardisierung gibt es also viel zu tun. Theoretische Betrachtungen alleine sind nicht hinreichend, um Arbeitsprozesse für IHE Profile zu beschreiben. Erst durch das reale Verbinden der zugehörigen Systeme offenbaren sich Lücken oder Fehler in der Definition. Wir sind in Triest ein großes Stück hinsichtlich der standardisierten Integration von KI-Lösungen in die Arbeitsplätze weiterkommen. Die funktionierende, herstellerübergreifende Kommunikation basierend auf strukturierten Daten ist und bleibt das A und O, um das volle Potenzial der KI-Unterstützung in der Medizin nutzen zu können.
